ZDFonline, 30. September 2001 |
RAWA - Frauen gegen die Taliban
Sahar Saba ist Aktivistin der Frauenorganisation RAWA, der Revolutionären Vereinigung der Frauen Afghanistans, und sie kämpft gegen die Taliban - im Untergrund. Sahar möchte nicht erkannt werden, das wäre zu gefährlich, selbst in Pakistan.
Mädchen können zur Schule gehen Ein Haus in Islamabad bietet Schutz für Frauen und ihre Kinder, die aus Afghanistan geflüchtet sind. Es sind Schicksale wie das von Latifa, um die sich RAWA kümmert. Die Frauenrechtlerinnen riskieren dabei ihr Leben, ihre Feinde, die Fundamentalisten, sind überall.
Leben in der Hölle Afghanistan
Latifa ist Witwe, Mutter von vier Kindern. Ihr Mann, ein Lehrer, wurde von den Mudschaheddin auf offener Straße erschossen. "Vor dem Tod meines Mannes war das Leben gut. Wir waren zwar nicht reich, hatten aber unser eigenes Haus, einen Garten, etwas Land. Sie brachten ihn um. Jetzt ist nichts mehr, wie es war. Niemand wollte uns helfen, selbst meine eigenen Brüder nicht, weil es zu gefährlich war. Also verließ ich mit meinen Kindern das Dorf. Es ist schwer, mein Leben zu beschreiben, ich habe alles verloren", erzählt sie ML Mona Lisa. Etwas zu essen, Kleidung, ein wenig Geld haben Latifa und ihre Kinder hier in Islamabad. Sie sind in Sicherheit. Aber in ihrer Heimat, in Afghanistan, sind es Millionen Frauen und Kinder, die nicht wissen, wie sie die nächsten Monate überleben sollen.
Sahar Saba von RAWA lässt das Schicksal der Frauen nicht ruhen: "Die Frauen leben heute in einer Hölle mit dem Namen Afghanistan. Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Bildungseinrichtungen, sie dürfen noch nicht mal einen Arzt aufsuchen oder einkaufen gehen, sie haben überhaupt keine Grundrechte." In Kabul, dem Zentrum des Terror-Regimes hat der Bürgerkrieg allein hier 60.000 Frauen zu Witwen gemacht. RAWA hilft auch ihnen, so gut es geht. Aber vor allem geht es darum, das Grundübel zu bekämpfen, die fundamentalistischen Kräfte in diesem geschundenen Land, sagt Sahar: "Fundamentalismus ist ein gefährliches politisches System. Es ist wie ein Krebsgeschwür. Wir Frauen erleben, was Fundamentalismus bedeutet, schon seit mehr als zehn Jahren. Es ist nackter Terror gegen die Frauen, gegen Erziehung, Zivilisation, Kultur, Demokratie, gegen jede Art von modernem Leben."
Widerstand in kleinen Schritten
Heimlich drehte RAWA Bilder von der öffentlichen Hinrichtung einer Frau im Sportstadion von Kabul. Aber erst jetzt, nach den Terroranschlägen in den USA, sagt RAWA, wird die Welt aufmerksam auf das, was in Afghanistan seit Jahren passiert. "Immerhin ist jetzt die Gelegenheit gut, den Frauen unseres Landes Gehör zu verschaffen, der Welt und unseren Feinden zu zeigen, dass wir Widerstand leisten und für unsere Rechte kämpfen können", sagt Sahar.
Dieser Kampf indes vollzieht sich in kleinen Schritten. Latifa hat sich RAWA angeschlossen, weil es ihren Kindern einmal besser gehen soll. Das Frauenproblem in Afghanistan, sagt sie, ist vor allem ein Bildungsproblem. Ihre Kinder gehen in Islamabad zur Schule. In der afghanischen Heimat dürfte ihre Tochter das nicht, sagt sie: "Meine Kinder sollen eine Ausbildung bekommen. Nur so können sie entscheiden, welchen Weg sie in ihrem Leben gehen möchten. Mit einer Ausbildung könnten sie zurückkehren und mithelfen, ein neues, freies Afghanistan aufzubauen."
Lernen für die Zukunft
100 Flüchtlingskinder sind in dieser Schule in Islamabad. Selbst in Afghanistan organisiert RAWA Unterricht, dort jedoch im Untergrund. Es sind vor allem die Mädchen, die in ihrer Heimat die Gewalt der Taliban gegen ihr Geschlecht, gegen ihre Mütter und Verwandten miterlebt haben. Das, was sie gesehen haben, haben sie gezeichnet. Bilder, die die menschenverachtende Brutalität darstellen. Sahar Saba spricht für RAWA: "Afghanische Frauen sterben jeden Tag, jede Stunde, nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Eine neue Regierung in unserem Land müsste demokratisch sein und uns Frauen alle Rechte geben. Wir wissen, bis es soweit ist, wird es dauern. Für den Augenblick ist es unser politisches Ziel, dass der König aus dem italienischen Exil zurückkehrt. Das wäre erst einmal die beste Lösung im Vergleich zu den Fundamentalisten."
Die Frauen von RAWA sind politisch aktiv, in einer Welt, in der Frauen nicht zugestanden wird, sich politisch zu engagieren. Das, was sie tun, kann sie ins Gefängnis bringen, auch hier in Pakistan. Aber ohne den Mut der Frauenrechtlerinnen würde sich gar nichts bewegen. Irgendwann vielleicht werden die Männer in dieser Gesellschaft nicht mehr so kritisch auf das schauen, was die "Revolutionäre Vereinigung" erreichen will.
Ein Beitrag von Carsten Thurau, bearbeitet für ZDFonline.