Angelika Wölke, Frank Finkensiep, Oct.2001


Opposition hinter dem Schleier

Eine Frau kniet im Stadion. Vor den Augen tausender grölender Zuschauer wird sie von hinten erschossen. Bilder, die um die Welt gingen, weil Frauen ihre Aufnahmen außer Landes schmuggelten. Unter dem Schleier.

Die Burka, den Schleier, hat die Taliban-Diktatur angeordnet. Die RAWA-Frauen schmuggeln darunter Kameras oder Medizin.

Die Frau soll Ehebruch begangen haben, so das Urteil des Taliban-Regimes, das die Hinrichtung anordnete. Einem Mann wird, ebenfalls im Stadion, die Kehle durchgeschnitten.

Dass die Welt von den Grausamkeiten der Taliban erfährt, dafür sorgt erstaunlicherweise die Revolutionäre Vereinigung afghanischer Frauen, RAWA, die wohl aktivste Oppositionsgruppe, die sich vor allem in Kabul engagiert. Bei der Arbeit gegen das diktatorische Regime nutzt den RAWA-Frauen ausgerechnet die knöchellange - meist hell-blaue - Burka, die seit der Machtübernahme auf der Straße getragen werden muss. Hinter dem den ganzen Körper bedeckenden Schleier verstecken die Frauen ihre Kameras, vor allem aber Schulbücher, ein wenig Geld, lebensnotwendige Medizin, ein paar Lebensmittel und sich selbst.

"2000 Aktivistinnen sind wir", sagt Mariam. So nennt sich die junge Frau am Telefon, die vom pakistanischen Quetta die Arbeit von RAWA unterstützt. Doch im realen Leben heißt Mariam anders, genau wie Mehmooda, die per E-Mail die Interview-Anfrage der WAZ beantwortete. Die Frauen arbeiten unter Decknamen, kennen zum Teil die Identität ihrer Mitstreiterinnen nicht. Sie müssten ihre Namen wechseln, sagt Mariam, denn das Regime droht mit Folter und Mord.

Das Afghanistan der Taliban-Diktatur ist - proportional betrachtet - das Land mit den meisten Witwen und Waisen in der Welt. "Mädchen über zwölf Jahre dürfen keine Schule mehr besuchen", sagt Mariam. "Frauen dürfen sich nicht schminken, dürfen nicht arbeiten." Viele Witwen hätten keine andere Chance, als betteln zu gehen. Für ein paar Brocken Brot für die Kinder. Die medizinische Betreuung von Frauen, Gynäkologen, sind verboten.

Von Pakistan aus organisieren die RAWA-Frauen daher unter anderem illegal Schuluntericht, in den Auffanglagern an der Grenze und in ihrer alten Heimat. "Wir unterrichten kleine Klassen in Privathäusern, nicht jeden Tag. Wenn´s gut geht, dreimal die Woche, immer im Untergrund, an stets wechselnden Orten", erzählt Mariam.

Andere RAWA-Frauen reisen durch Afghanistan und unterweisen die Menschen dort in Erster Hilfe. Hilfe zur Selbsthilfe wollen sie vermitteln, in Peshawar betreiben sie eine Krankenstation.

Oder sie schicken "Spioninnen" nach Kabul, die mit versteckter Kamera den Alltag von Frauen auf Zelluloid bannen: Bettelnde Mütter mit sterbenden Kindern in den Armen, Frauen die von den Taliban auf offener Straße zusammengeschlagen werden, Frauen, die im Stadion hingerichtet werden.

Die von Mord bedrohten sind es, die dem diktatorischen Regime Paroli bieten. Durch die aktuelle Entwicklung sei die Arbeit der Frauen jedoch noch riskanter geworden. "Die Grenzen nach Pakistan sind geschlossen, die illegal agierenden RAWA-Frauen können zur Zeit Afghanistan nicht verlassen", berichtet Mariam.

RAWA wurde 1977 von Meena als die "Stimme der schweigenden und unterdrückten Frauen in Afghanistan" gegründet. Zehn Jahre später wurde sie ermordet. Laut RAWA steckten dahinter der pakistanische Geheimdienst und fundamendalistische Kräfte in Quetta, Pakistan. Gewissheit gibt es auch 24 Jahre später noch nicht.

Die Lage in Pakistan wird für die RAWA-Frauen zunehmend riskanter. Erst im letzten Dezember, so erzählt Mariam, sei eine Demonstration der RAWA-Frauen von Taliban-Anhängern in Pakistan angegriffen worden. Viele der Demonstrantinnen seien zusammengeschlagen worden.

Trotz der Gräueltaten der selbsternannten Gotteskämpfer sind die RAWA-Frauen skeptisch gegenüber militärischen Interventionen. "Einzig das afghanische Volk würde leiden", ist Mariam überzeugt. Wie die Taliban vertrieben werden können - da hält sie sich mit Vorschlägen zurück.

Eine Regierung der Nordallianz ist für sie keine Alternative. "Die rekrutieren sich ebenfalls größtenteils aus fundamentalistischen Gruppen", berichtet sie. Und weiter: "Ich glaube auch, dass die Rückkehr des 1973 vertriebenen König an die Macht nur der erste Schritt sein könnte, eine Art Übergangsphase zur Demokratie."

Ihre Hoffnung haben die RAWA-Frauen bislang nicht aufgegeben: "Wir glauben, dass unser Volk eines Tages gegen die Taliban aufstehen wird."

Angelika Wölke, Frank Finkensiep.

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