vorwärts, 31. Mai 2002



Entwaffnet die Warlords

Katja Schurter. Shahla Asad von der Revolucionary Association of the Women of Afghanistan, RAWA, referiert an Veranstaltungen in diversen Schweizer Städten. Der Vorwärts hat sich mit ihr getroffen.


Kannst du mir etwas über deinen persönli-chen Hintergrund erzählen?

Ich lebe in Pakistan, stamme aber aus Kabul. Nach der russischen Invasion wurde mein Vater getötet. Da-mals war ich neun Jahre alt. Der Rest der Familie flüch-tete nach Pakistan. Dort ging ich im Flüchtlingslager in eine RAWA-Schule. Seit 1996 arbeite ich für RAWA, vor allem in den Flüchtlingslagern, aber auch in Afghani-stan und als Repräsentantin in anderen Ländern.

Zur Zeit laufen die Vorbereitungen für die Loya Jirga. Ist RAWA an diesem Prozess beteiligt?

Nein, RAWA wird nicht Teil der Loya Jirga sein. Wenn du die Regierung als fundamentalistische Regie-rung ablehnst, hast du keine Chance. Die Loya Jirga wird unter der Kontrolle der Nordallianz stattfinden. Sie ist nicht wirklich repräsentativ. Die 21 Personen, die die Loya Jirga organisieren, sind entweder selbst Fun-damentalistInnen oder Leute, die sich nie gegen die Fundamentalisten eingesetzt haben. Das Resultat kann also gar nicht positiv sein. In Bonn waren wir noch hoffnungsvoll, aber jetzt sehen wir das praktische Leben in Afghanistan, das eine andere Sprache spricht.

War RAWA denn an die Bonner Konferenz eingeladen?

Nein, wir waren offiziell nicht eingeladen. Ein bis zwei Tage vor der Konferenz erhielten wir aber einen Anruf, ob wir nicht Teil der Delegation des Königs sein wollten, und wir stimmten zu. Es gab dann aber Schwierigkeiten, sie liessen uns nicht ein, weil wir an-geblich nicht die richtige Erlaubnis hatten. Die UNO und die Königs-Delegation schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu - schliesslich verpassten wir drei Tage der Konferenz. Wir kamen, als alle Entscheidun-gen getroffen waren und konnten unsere Forderungen nicht mehr einbringen. Es gab Druck von der Nordalli-anz, uns nicht zuzulassen.

Was denkst du über die beiden Frauen, die in die Übergangsregierung gewählt wurden? Sie sind nicht repräsentativ für die Frauen Afgha-nistans. Sima Samar zum Beispiel war Teil der Wahdat (United) Party. Diese ist fundamentalistisch, gegen Frauenrechte, wurde vom iranischen Regime unter-stützt und arbeitet nur für die eigene ethnische Grup-pe. Kein Wunder wurde Sima Samar von der Nordalli-anz akzeptiert. Die Religion und ethnische Differenzen sind die stärksten Waffen in Afghanistan.

Was bedeutet es für die Übergangsregie-rung, dass weder Frauen- noch linke Orga-nisationen an die Konferenz von Bonn ein-geladen waren?

Die Übergangsregierung ist fundamentalistisch und steht unter der Kontrolle der Nordallianz. Es ist wie vor den Taliban: Verschiedene Gruppen der Nordalli-anz kämpfen gegeneinander, viele Leute werden um-gebracht, Frauen vergewaltigt etc. Linke Gruppen sind in Afghanistan schwach und arbeiten im Untergrund. Auch RAWA kann nicht legal arbeiten. Es waren immer nur die Fundamentalisten, die von verschiedenen Län-dern Unterstützung bekamen.

Heisst das, dass sich die Situation mit dem Sturz der Taliban kaum geändert hat?

Es gibt keinen Unterschied zwischen den Führern der Taliban und der Nordallianz. Als die Nordallianz zwischen 1992 und 1996 an der Macht war, übte sie ge-nauso Gewalt aus wie die Taliban. Jetzt sprechen sie von Demokratie und Frauenrechten, sie werden diese aber nie respektieren. Auch nach dem Sturz der Taliban hat sich die Situation von Frauen nicht so geändert, wie die Medien es darstellen. Die Öffnung von Mädchen-schulen zum Beispiel hat nur in Kabul stattgefunden. Aber auch hier sind Frauen, die in die Schule oder zur Arbeit gehen, nicht sicher. Auf dem Land können sich die Frauen nach wie vor nicht bewegen, weil sie die Warlords fürchten müssen, die über ihr jeweiliges Ge-biet wie Könige herrschen.

Hat sich die Arbeit von RAWA mit dem Sturz des Taliban-Regimes verändert?

Es hat sich nicht viel verändert. Nachdem die Übergangsregierung die Pressefreiheit ausgerufen hat-te, versuchten wir unsere Publikationen zu verkaufen. Der Verkäufer wurde geschlagen und ihm wurde be-fohlen, keine Publikationen mehr zu verkaufen, die sich gegen die Regierung richten. Wir müssen also wei-terhin im Untergrund arbeiten, können unsere Akti-vitäten nicht offen durchführen oder ein offizielles Büro eröffnen - so wie vorher.

Wie sieht die Arbeit von RAWA konkret aus?

In Afghanistan arbeiten wir im Untergrund. Wir leiten kleine Schulen, organisieren materielle Unter-stützung für Frauen und speziell Witwen und bieten medizinische Hilfe an. All dies müssen wir unter einem anderen Namen tun. Ähnliche soziale Projekte haben wir in den Flüchtlingslagern von Pakistan. Politische Aktivitäten wie Meetings, Demonstrationen, der Ver-trieb unserer Publikationen, etc. können wir jedoch nur in Pakistan durchführen.

Welche Perspektiven siehst du für eine politische Veränderung in Afghanistan?

Solange die Fundamentalisten politische und mi-litärische Macht haben, bleibt es schwer für die Frau-en. Erst nach ihrer Entmachtung werden Frauen und DemokratInnen sich äussern können und Rechte er-halten. Auch dies wäre ein langer, nicht einfacher Weg. Aber wenn der König wieder an die Macht kommen würde, wäre es der Beginn eines Wandels.

Ein Monarch als Garant für Demokratie und Frauenrechte?

Unter dem König gab es mehr Frieden, Freiheit und Sicherheit als unter den Fundamentalisten. Er ist zur Zeit die einzige und beste Option für die Zukunft Afghanistans. Die Mehrheit der Menschen würde für den König stimmen, wenn es nicht die Warlords gäbe, welche die Leute unter Druck setzen.

Was fordert RAWA von den westlichen Län-dern?

Dass sie aufhören, fundamentalistische Gruppen zu unterstützen. Diese müssen entwaffnet und für ihre Kriegsverbrechen verurteilt werden. Stattdessen sollen sie demokratische Gruppen unterstützen. Es hätte andere Wege gegeben, die Taliban zu stürzen als Bom-bardierungen. So wurde die Nordallianz gestärkt. Wir wollen nicht, dass ein spezifisches Land Truppen nach Afghanistan sendet, sondern dass grössere UNO-Trup-pen stationiert werden, damit die Entwaffnung von fundamentalistischen Gruppen möglich wird. Die öko-nomische Unterstützung der Regierung ist zur Zeit nicht sinnvoll, weil diese die Leute niemals erreichen wird, sondern nur die Warlords und somit den Krieg stärkt.

Veranstaltungen

Shahla Asad von der femi-nistischen afghanischen Frau-enorganisation RAWA berichtet über die aktuelle Situation in Afghanistan und Pakistan.

ZÜRICH: FREITAG 7. JUNI,
19.30 UHR, VOLKSHAUS.
BERN: SAMSTAG 8. JUNI,
19.30 UHR, FRAUENRAUM
DER REITSCHULE.










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