Der Standard, 06.10.2001 |
RAWA - die "Geheimarmee" im Untergrund
Afghanische Frauenorganisation im Kampf gegen die Taliban
Islamabad/London - Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit kämpft in Afghanistan eine geheime Untergrundorganisation gegen das Taliban-Regime - allerdings nicht mit Stinger-Raketen und Maschinengewehren, sondern mit ganz anderen Waffen. RAWA, die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans, ist eine Gruppe von linksorientierten Frauen, die für eine säkuläre demokratische Regierung, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit eintritt. Offiziell hat die Frauenorganisation heute ihren Sitz im Exil im benachbarten Pakistan in der Grenzstadt Quetta. In Afghanistan sind jedoch hunderte Frauen im Geheimen im Sinne der RAWA aktiv.
Viele Aktivistinnen der 1977 gegründeten RAWA wurden im Widerstand gegen die sowjetische Besatzung oder von Moslemextremisten ermordet. Trotzdem arbeiten viele Frauen im Untergrund in Afghanistan weiter. Diese Frauen lehren etwa Mädchen lesen und schreiben - eine von den Taliban streng verbotene Tätigkeit. Unter den islamisch-fundamentalistischen Taliban, die 1996 die afghanische Hauptstadt Kabul erobert haben, wurde der Unterricht für Mädchen strikt verboten, die Lehrerinnen entlassen und die Mädchenschulen geschlossen.
Dokumentation mit versteckten Kameras
Eine andere RAWA-Untergrundaktivität ist die Dokumentation: Mitarbeiterinnen filmen versteckt die Unterdrückung ihres Volkes durch die Taliban. Einer der größten Coups gelang einer unbekannten Afghanin, die eine Hinrichtung in Kabul filmte. Die Kamera hatte sie unter ihrer Burka, einem weiten Umhang, der nur über den Augen geöffnet ist, versteckt. Der in den Westen geschmuggelten Film wurde in einer BBC-Dokumentation gezeigt.
Die Szene ist erschreckend: In einem Fußballstadion haben sich tausende Taliban-Anhänger versammelt. Ein Mann liest aus dem Koran vor. Die Taliban-Geheimpolizei bringt eine von einer Burka verhüllte Frau auf der Ladefläche eines Lastwagens ins Stadion. Sie wird in die Mitte geführt und muss sich niederknien, dann wird sie von hinten mit einem Genickschuss getötet. Die Hingerichtete wurde des Ehebruchs beschuldigt.
Zum Betteln gezwungen
Andere im geheimen von RAWA-Aktivistinnen gefilmte Aufnahmen zeigen die Armut von Alleinstehenden oder Witwen, die wegen des strikten Arbeitsverbots der Taliban für Frauen auf Almosen angewiesen sind. Die verhüllten Frauen sitzen zusammengekauert am Straßenrand und betteln - oft mit einem halb verhungerten Kind in den Armen. Eine andere Möglichkeit zum Überleben haben sie nicht. Auf Fotos, die im Internet auf ihrer Homepage gezeigt werden, sind Taliban beim Prügeln von Frauen auf offener Straße zu sehen.
Die Terroranschläge am 11. September in den USA wurden von der RAWA entschieden verurteilt. In einer Erklärung, die auf ihrer Homepage veröffentlicht wurde, warnt RAWA die USA jedoch vor einem undifferenzierten Vergeltungsschlag. "Die US-Regierung und das amerikanische Volk sollten wissen, dass zwischen dem armen und zerstörten afghanischem Volk und den kriminellen Dschihad- und Taliban-Terroristen ein himmelweiter Unterschied besteht".
Kampf gegen "verbrecherische Politik" der Taliban
RAWA, die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans, wurde 1977 als unabhängige politische Organisation afghanischer Frauen in Kabul gegründet. Gründerin Meena wurde 1987 in Quetta (Pakistan) ermordet. Ursprüngliches Ziel waren politische Aktivitäten für Frauen- und Menschenrechte und eine auf demokratischen und säkularen Werten basierende Regierung. Seit dem Sturz des von der Sowjetunion eingesetzten Marionettenregimes im Jahre 1992 konzentriert sich der politische Kampf von RAWA nach ihren eigenen Angaben gegen die "verbrecherische Politik fundamentalistischer und ultrafundamentalistischer Taliban und ihrer Grausamkeiten gegen das Volk Afghanistans im Allgemeinen und ihrer unglaublichen ultramachistischen, chauvinistischen und frauenfeindlichen Haltung im Besonderen".
In den Flüchtlingslagern in Pakistan versuchen RAWA-Mitarbeiterinnen das Leid der extrem traumatisierten Frauen und Kinder zu lindern. Dort hat RAWA Internatsschulen für Mädchen und Buben und ein Krankenhaus mit mobilen Einsatzteams eingerichtet. Zusätzlich bietet sie Krankenpflege-, Alphabetisierungs- und Berufsausbildungskurse für Frauen an. Im April 2000 erhielt die Frauenorganisation den von der französischen Regierung gestifteten "Menschenrechtspreis für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit". (APA)
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Quelle: ©2001 derStandard.at