RAWA, 12. Dezember 2006

‘Wandle deinen Kummer in positive Energie’

Von Kate Hannan, während ihrer freiwilligen Arbeit mit RAWA

Mut, Hoffnung, Entschlossenheit, Standhaftigkeit, Hingabe, Tatkraft …. all dies strahlten die RAWA Mitglieder und Unterstützer aus, die ich während meines Aufenthaltes in Pakistan im Oktober 2006 traf.

Ich war nach Rawalpindi gegangen, um in einem von RAWAs Waisenhäusern zu helfen mit der Absicht, einen Monat lang Englisch zu unterrrichten. Ich gab tatsächlich Englischunterricht, ganz formell für ein paar Wochen, außerdem auch informell außerhalb der Klassenräume, und dann wurde ich eingeladen, einige Zeit in einem der afghanischen Flüchtlingslager in der Nähe von Peshawar zu verbringen, ein anderes Waisenhaus zu besuchen, ebenfalls in Peshawar, und mich in der Schule umzusehen, die von RAWA in Rawalpindi betrieben wird.

Meine Erfahrungen in den Waisenhäusern, im Lager und in der Schule erfüllten mich mit Bewunderung und Hoffnung: Bewunderung für RAWAs hervorragende Leistungen trotz großer Not, und Hoffnung für ein zukünftiges Afghanistan, das von diesen jungen Leuten aufgebaut wird, die erzogen wurden, an den Wert und die Würde jedes menschlichen Wesens zu glauben, Bildung anzustreben und Fertigkeiten zu entwickeln, das Glück zu finden, indem sie anderen helfen und mit ihnen teilen.

Im Waisenhaus in Rawalpindi arbeitete ich mit 56 Kindern, im Alter von 6 bis 16 Jahren; jedes hatte eine tragische Geschichte und war doch entschlossen, sich nicht von seiner persönlichen Tragödie zerstören zu lassen. Stattdessen waren diese Kinder mit Liebe zum Leben und Lernen erfüllt. Sie besuchten die Schule in zwei Schichten, und wenn sie nicht in der Schule waren, konnten sie zusätzliche Englischklassen besuchen, meine inbegriffen, und zusätzliche Computerklassen wurden im Waisenhaus von RAWA-Mitgliedern und -Unterstützern gegeben. Jedes Kind hat auch eine zugeteilte Aufgabe im Waisenhaus. So weit wie möglich sind die Kinder für ihre eigenen Sachen und die Schlafsäle verantwortlich; sie machen sauber, kehren, pflanzen Gemüse, waschen ab usw., zum Nutzen aller. Zeit für Hausaufgaben und Erholung gab es auch, nicht zu vergessen begeistertes Tanzen und Singen.

Es ist fast unmöglich für mich, vollkommen zu verstehen oder zu schildern, wie viel die Kinder früher in ihren kurzen Leben gelitten hatten, aber ich kann beschreiben, was ich in den beiden Waisenhäusern sah – blühende Kinder, wohlgenährt und von liebenden Erwachsenen umsorgt; unter hohen Anforderungen erzogen, gedeihen sie in einem behüteten Zuhause, explodieren vor Energie und Enthusiasmus.

Im Flüchtlingslager traf ich mehr RAWA-Mitglieder, die sich dafür aufopfern, das Leben ihrer afghanischen Mitmenschen zu verbessern, besonders das der Witwen und Waisen. Das Lager besteht seit 20 Jahren, und RAWA ist seit 18 Jahren hier präsent, hat Schulen eingerichtet und Unterkünfte für Jungen und Mädchen, Projekte, die zu Einkommen führen und Familien das Überleben ermöglichen wie Teppichweben, und hat eine Klinik aufgebaut mit Besuchsärzten, Krankenschwestern und einem Apotheker.

Die Schulen im Lager lehren nach einem modernen Studienplan, und die Schüler, die bis zur letzten Klasse lernen, können dann nach Afghanistan gehen, um an der bekanntermaßen schweren Concours-Prüfung für die Aufnahme in die Universität teilzunehmen. Ich war erstaunt, wie viel erreicht wurde mit so wenig. Diese Schulen haben keine Labors, keine spezielle Ausrüstung und wenig Bücher, aber sie haben ausgezeichnete und engagierte Lehrer und eifrige entschlossene Schüler, die das Concours-Examen bestehen können und es auch tun. Alle Schüler verstehen den Wert von Bildung, und einige lernen am Tag, während sie in der Nacht Teppiche weben müssen.

Die Wohnheime sind für ältere Jungen und Mädchen, die ihre Eltern verloren haben und noch nicht in der Lage sind, ihren eigenen Weg im Leben zu gehen. EInige der Mädchen, mit denen ich sprach, hatten sich geweigert, zu ihren Familienangehörigen zurückzukehren aus Angst, verheiratet zu werden, bevor sie ihre Ausbildung beenden können. Ein Mädchen beschrieb das Denken in Afghanistan als überwiegend „rückständig“ und freute sich, daß es in der Lagerschule lernen kann. Die Jungen und Mädchen, im Alter zwischen 8 und 18, sind für das Funktionieren der Wohnheime, die Erfüllung ihres Haushaltsplans, sowie das Säubern, Waschen und Kochen verantwortlich. Nichts wird verschwendet, für alles ist gesorgt.

Ich besuchte auch Witwen und Kinder, die Teppiche weben, womit sie genug Geld zu verdienen, um sich mit den Grundbedürfnissen des Lebens zu versorgen. RAWA hat den Rahmen gestellt, auf dem die Teppiche gewoben werden, ein „Mann von Peshawar“ besorgt die Materialien und Muster, und die Witwen und Kinder machen die harte Arbeit. Vorschulkinder zeigten stolz ihre Fertigkeiten, ihre kleinen Finger webten geschickt die intensiv farbige Wolle, immer ernsthaft darauf bedacht, den Mustern zu folgen, da eine falsch plazierte Blume keinen Lohn für den Monat bedeuten würde. Schulkinder lernen am Tag und weben in der Nacht beim Licht einer einzigen elektrischen Glühbirne.

Das Krankenhaus ist gegenwärtig drei Tage in der Woche geöffnet. Die Patienten werden kostenlos von einem Praktischen Arzt, einem Frauenarzt, einem Augenarzt und einem Apotheker behandelt. RAWA-Unterstützer besorgen die Medizin, und die praktizierenden Ärzte werden aus dem RAWA-Fonds bezahlt.

In meiner letzten Woche besuchte ich die RAWA-Schule in Rawalpindi. 107 Jungen und 90 Mädchen folgen einem kompletten Studienplan, nach dem afghanische Lehrer unterrichten. Lehrer nicht zu verlieren kann ein Problem sein, aus verschiedenen Gründen einschließlich der Bezahlung, wenn auch der stellvertretende Schuldirektor sich die Arbeit an der RAWA-Schule selbst ausgesucht hatte, weil er sehen konnte, wie viel RAWA mit den ärmsten Kindern erreicht. Manchen Schülern ist es unmöglich, alle Klassen zu beenden, aber annähernd 5 Schüler machen jedes Jahr den Abschluss.

Afghanische Frauen werden in westlichen Medien oft als unterwürfig und unterdrückt dargestellt. Nicht so die RAWA-Mitglieder. Die Frauen, die ich traf, sind stark, gebildet, vorwärtsdenkend und unnachgiebig. Sie kämpfen für Menschenrechte, insbesondere für die Rechte der Frauen. Ihre Waisenhäuser und Jugendheime werden nach demokratischen Prinzipien betrieben, wobei die Kinder von frühem Alter an in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Frauen, die nicht Lesen und Schreiben können, wird das Lesen und Schreiben beigebracht – ein RAWA-Mitglied, das ich im Lager traf, eine Witwe, war Analphabetin gewesen; jetzt ist sie Lehrerin von 7- und 8-Klässlern. RAWA-Mitglieder scheuen sich nicht davor, die Verbrecher zu verurteilen, die in ihrem Land so viel Zerstörung verursacht haben. Unter großem Risiko für sich selbst entlarven sie weiter die Warlords, die jetzt wieder einmal versuchen, in Afghanistan die Macht zu gewinnen, und fordern, daß sie vor Gericht gestellt werden.

RAWA erhält von keiner Nichtstaatlichen Organisation (NGO) oder Regierung finanzielle Hilfe. Die Frauen sind vollständig auf die Hilfe internationaler Spender angewiesen. Jetzt, wo andere Geschehnisse international in den Vordergrund drängen, sind die Finanzmittel zurückgegangen, und RAWA sieht sich gezwungen, einige seiner Projekte zu schließen. Das Malalai-Krankenhaus musste durch die Lagerklinik ersetzt werden; einst war es an 5 Tagen in der Woche geöffnet, jetzt nur noch an drei. Wo es einst 10 Schulen in Rawalpindi gab, gibt es jetzt nur noch eine, und die Kinder müssen 80 Rupees im Monat bezahlen. Waisenhäuser werden geschlossen oder zusammengelegt. Diese Schließungen und Reduzierungen passieren sowohl in Pakistan als auch in Afghanistan.

Mein Gefühl der Bewunderung, des Staunens und der Hoffnung als Zeuge der Arbeit von RAWA mischte sich mit Gefühlen von Traurigkeit, als ich von den schrumpfenden Fonds und den daraus folgenden Schließungen erfuhr. Aber ich errinnere mich an die Worte von Meena – ‘Wandle deinen Kummer in positive Energie’. Das ist zweifellos das, was die RAWA-Mitglieder tun; das ist auch die Herausforderung an jeden von uns, der die Ziele von RAWA und allen freiheitsliebenden Menschen unterstützt.





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