Niedersächsische Allgemeine, 16-6-2002 |
Politik unter Schleiern
Vorspann:Bilder aus Afghanistan spiegeln nicht unbedingt die Wirklichkeit, sagt Frauenrechtlerin Shahla
KASSEL/KABUL. Gelüftete Burkaschleier - vergangenen November war das ein Lieblingsmotiv der internationalen Presse. Nach dem Einmarsch der Nordallianz in Kabul labte sich die Welt am Lächeln unbekannter Afghaninnen. Doch mit der Realität in Kandahar, Kundus und selbst Kabul haben die schönen Bilder wenig zu tun, sagt eine, die es wissen muss. Shahla, 27, arbeitet für die afghanische Frauenorganisation Rawa. Auch sie und ihre Mitstreiterinnen haben über Bilder Bekanntheit erreicht. Sie waren es, die die von den Taliban verlangten Ganzkörperschleier für ihre Zwecke nutzen. Verbargen Kameras unter der Burka, schmuggelten die Fotos ins Ausland. Gräuel der Taliban wurden so dokumentiert. Später lieferten die Rawa-Frauen einige wenige Bilder des afghanischen Alltags während der US-Bombardements. Derzeit reist Shahla durch die Schweiz und Deutschland. Sie hält Vorträge über die Lage in ihrer Heimat - ohne Schleier. Aber fotografieren lässt sie sich nur schräg von hinten. Und Ende November, als sie für Rawa einen Preis des ZDFMagazins Mona Lisa entgegennahm, verhüllte sie sich mit der Burka. Eine Sicherheitsmaßnahme. Es ist gefährlich Rawa-Frau zu sein. Es ist gefährlich Frau zu sein, in Afghanistan. Noch immer gibt es Vergewaltigungen, Mädchen werden gekidnappt, werden gezwungen sehr viel ältere Männer zu heiraten, sagt Shahla. Schauen Sie auf die Internetseiten von Amnesty International oder Human Rights Watch - es steht alles da! Shahla selbst lebt in Peshawar in Pakistan. Als ihr Vater im Kampf gegen die Sowjets fiel, floh ihre Mutter mit ihr, der Großmutter und den vier Schwestern ins Nachbarland. Sie war elf. Und im Flüchtlingslager gab es keine Schule - bis Rawa-Aktivistinnen eine aufmachten. Heute ist auch Shahla Lehrerin. Sie hätte sich nicht bei der Frauenrechtsorganisation engagieren müssen, sagt sie. Aber sie wollte. Und wenn sie es tut, trägt sie den Namen, den sie auch hier benutzt. Für ihre Familie heißt sie anders. Noch eine Vorsichtsmaßnahme. Rawa-Aktivistinnen kennen viele davon: Wenn wir unter den Taliban nach Afghanistan gegangen sind, um zu unterrichten, ging das nur ganz privat - in jemandes Haus. Selbst die Nachbarn durften nicht wissen, dass da eine Schule ist, berichtet Shahla. Heute sollen die Nachbarn nicht wissen, dass es eine Rawa-Schule ist. Denn nicht nur die Taliban waren religiöse Fundamentalisten. Auch vielen der Kriegsherren, die jetzt die Provinzen des Landes beherrschen, sind die streitbaren Frauen ein Dorn im Auge. Viele Kämpfer der Nordallianz haben vor der Taliban-Ära geplündert, vergewaltigt, gemordet. Dass die Kriegsherren nun an der Loja Dschirga, der großen Ratsversammlung, beteiligt sind, hält Shahla für einen fatalen Fehler. Es ist wahr, dass afghanische Männer und Frauen, besonders der jungen Generation, körperlich und mental zerstört sind, sagt sie. Für kleine Schritte zum Aufbau eines demokratischen Staates aber, werde es keine Chance geben, wenn bewaffnete Fundamentalisten an der Macht blieben. So wie bislang, wo zwar Hamid Karsai Übergangspräsident war - laut Shahla kein fundamentalistischer Krimineller mit Blut an den Händen. Aber den wirklich wichtigen Posten, den des Verteidigungs- und Sicherheitsministers, besetzte ein Kommandeur der Nordallianz. Die alten Kämpfer müssen endlich entwaffnet werden, sagt Shahla. Und das sei eine Aufgabe, die nur die Vereinten Nationen übernehmen könnten: Wir wollen nicht Soldaten aus diesem oder jenem Land - sondern Friedenstruppen unter dem Banner der UN. Dass die Welt jetzt noch nach Afghanistan blickt, daran hat die junge Aktivistin große Zweifel. Nicht aber daran, was sie sehen soll:Es gibt jetzt Schilder, die das Tragen von Burkas verbieten, berichtet sie aus Kabul. Die Kriegsgewinner wüssten, dass sie Veränderung vorweisen müssen: Aber das ist nicht Realität. Viele Frauen fühlen sich längst nicht sicher genug. Filme außer Landes geschmuggelt Loja Dschirga sollte anders besetzt sein Schulen, Medizin und Nachrichten Rund 2000 Afghaninnen sind Mitglied der Revolutionären Organisation der Frauen Afghanistans (Rawa). Rawa arbeitet im ganzen Land und in den pakistanischen Flüchtlingslagern. Die Organisation betreibt Schulen für Jungen und Mädchen, entsendet medizinische Versorgungsteams, in Quetta gibt es ein Rawa-Krankenhaus. Fisch- und Hühnerzucht, eine Imkerei, Teppichweberei und Kunsthandwerk geben Frauen Verdienstmöglichkeiten. Von Pakistan aus informiert Rawa mit gedruckten Berichten oder im Internet über Afghanistan. Ein Großteil der Arbeit wird über Privatspenden aus aller Welt finanziert. Shahla war jetzt auf Einladung des Frauenzentrums und des evangelischen Forums in Kassel. www.rawa.org
Zwischentitel-1:VON UNSERER REDAKTEURIN KATJA SCHMIDT
Bild-1:GETARNT: Den Preis des ZDF-Magazins Mona Lisa nahm Shahla verhüllt entgegen. Noch immer werden Frauenrechtlerinnen in Afghanistan bedroht. ARCHIVFOTO: DPA