Radio Z, 04.12.2001 |
"Krieg mit wechselnden Namen und Slogans"
Interview mit Shahla Asad von RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan)
Plötzliche Bekanntheit erlangte die afghanische Frauenorganisation RAWA erst in den letzten Wochen. Dabei engagiert sich RAWA schon seit einem Vierteljahrhundert für die Rechte der Frauen.
Während in Bonn Anfang Dezember auf einer Konferenz die Karten für eine neue Regierung Afghanistans gemischt wurden, vertrat Shahla Asad RAWA auf einer paralell stattfindenden Konferenz für die "Zivilgesellschaft" Afghanistans. Mit ihr sprach Maike Dimar:
radio z: Wie schätzen Sie die Anwärter für eine Regierungsbeteiligung in Bezug auf Frauenrechte ein?
Shahla Asad: Zur Zeit reden viele politische Gruppierungen über Frauenrechte, auch die Nordallianz tut sich damit hervor. Doch wir wissen von allen fundamentalistischen Gruppen, ob Taliban oder Nordallianz, dass sie gegen Frauenrechte und Demokratie sind. Wir haben in der Zeit vor 1996, vor dem Taliban-Regime, mit verschiedenen fundamentalistischen Gruppierungen Erfahrungen gemacht und sie sind absolut nicht anders als die Taliban.
rz: Wie bewerten Sie die Haltung der Nordallianz während der Konferenz?
A: Ich glaube, sie standen unter dem Druck der Vereinten Nationen und der Rom-Delegation. Man kann sagen, dass wir ein klein wenig Hoffnung schöpfen, denn immer wenn in der Vergangenheit über einen Friedensprozess diskutiert wurde, fanden die Konferenzen nur unter den Fundamentalisten statt. Dieses Mal jedoch sind die Vereinten Nationen aktiv geworden und die Gruppe um den ehemaligen König wurde mit einbezogen. Wir haben also die Hoffnung, dass sie zum Wohl unseres Volkes handeln. Auch wenn wir natürlich sicher sind, dass dabei keine für uns ideale Regierung heraus kommen wird: Es wird nur eine gewisses Maß an Frieden und Demokratie für Afghanistan geben.
rz: Die Medien berichten derzeit viel über die neu gewonnenen Freiheiten der afghanischen Frauen. Sehen Sie die?
Asad: Es ist absolut das Gleiche wie vorher. Die Prinzipien der fundamentalistischen Gruppen sind alle gleich. Wann immer sie an der Macht waren und wo auch immer in der Welt, waren die Frauen die ersten Opfer. Das Ausland sollte auch wissen, dass das Tragen der Burka nicht das einzige Problem der Frauen in Afghanistan war. Dass sie jetzt keine Burka mehr tragen müssen, heißt noch lange nicht, dass sie sicher leben können oder an irgendwelchen Entscheidungen teilhaben können. Solange die politische Krise weiter existiert und die Fundamentalisten weiter Macht haben, steht uns noch ein langer Kampf für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen bevor.
rz: Welche Vorgehensweise gegen die Taliban und fundamentalistische Gruppierungen insgesamt halten Sie für effektiv und möglich?
A: Ich glaube, der Kampf gegen Fundamentalismus ist nicht nur die Aufgabe des afghanischen Volkes, sondern auch die der Völkergemeinschaft und insbesondere der USA, die für lange Zeit diese fundamentalistischen Gruppen unterstützt und gestärkt haben. Sie sollten uns helfen, den Fundamentalismus in unserem Land zu zerstören. Erstens durch eine internationale Friedenstruppe, die diese fundamentalistischen Kräfte entwaffnet, und zweitens indem der Zustrom von Waffen und Geldern aus Iran, Pakistan und Saudi Arabien gestoppt wird.
rz: Auch RAWA spricht sich für ein Mandat der Vereinten Nationen aus. Haben Sie nicht die Sorge, dass die beteiligten Nationen ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen?
A: Wir warnen sie, dass sie ihre Einstellung gegenüber fundamentalistischen Strukturen ändern müssen. Die USA haben nun erkannt, dass Fundamentalismus die Basis für terroristische Netzwerke werden kann. Und wir hoffen, dass sie sie nicht ein zweites Mal unterstützen werden. Doch es ist wichtig zu wissen, dass das Ende das Fundamentalismus nur durch den Kampf unserer eigenen Leute möglich ist, nicht durch die Einmischung eines fremden Staates.
rz: Denken Sie, dass der Kampf gegen den Terrorismus das einzige Ziel der US-Amerikaner ist?
A: Natürlich haben sie auch ihre eigenen politischen und ökonomischen Interessen. Die größte Gefahr für sie war der Terrorismus, und sie haben erkannt, dass sie die fundamentalistischen Gruppen, die diesen Terrorismus unterstützen, bekämpfen müssen. Jetzt kämpfen sie in Afghanistan gegen den Terrorismus, und wir können nur hoffen, dass sie nie wieder die fatale Politik betreiben, Fundamentalismus irgendwo in der Welt zu unterstützen - nicht nur in Afghanistan.
rz: Ihre Organisation betont, dass die Bevölkerung Afghanistans den Fundamentalismus nicht unterstützt und ihn auch kritisiert. Doch glauben Sie nicht, dass die letzten Jahre unter der Herrschaft der Taliban die Gesellschaft und die Menschen in Afghanistan geprägt haben und fundamentalistisches Denken in Afghanistan Raum gewonnen hat?
A: Nein! Das ist als wenn jemand mehrere Jahre lang im Gefängnis gesessen hat und dort Zeuge schrecklicher Folterungen geworden ist. Das heißt nicht, dass er danach Folter als etwas Normales betrachtet oder sie gar selbst anwendet. So ähnlich ist es in Afghanistan. Die Menschen wissen, dass der Fundamentalismus die größte Gefahr für sie ist. Was er in den Jahren 92-96 angerichtet hat, und danach noch weiter unter dem Namen Taliban, hat diese Zeit zur absolut dunkelsten Periode unserer Geschichte gemacht. Eine Zeit des Grauens war es sowohl für Männer als auch für Frauen - beide Geschlechter sind gefoltert, ausgeraubt, gefangen genommen, misshandelt und ermordet worden. Dies geschah im Namen von Religion und von ethnischen Gruppen, und ich glaube, unser Volk hat sehr viel aus dem vergangenen Jahrzehnt gelernt.
rz: Ihre Organisation nennt sich selbst "Revolutionäre Vereinigung Afghanischer Frauen" und ihre Forderungen gehen ziemlich weit. Glauben Sie, dass sie Ihre Ziele vor dem Hintergrund der letzten Jahrzehnte in Afghanistan verwirklichen können?
A: Wir glauben, dass wir eine Revolution in Afghanistan bereits bewirkt haben. Allein die Existenz von RAWA, der ersten unabhängigen Gruppe von Frauen in der Geschichte Afghanistans, die seit 1977 für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern kämpft, betrachten wir als eine Art Revolution. Für Afghanistan ist unser Kampf für Schulbildung von Frauen und für viele ganz grundlegende Rechte von Frauen als gleichwertige Menschen revolutionär.
rz: Glauben Sie wirklich, dass sich diese Ziele durchsetzen lassen?
A: Ja, absolut. Unser Volk leidet seit 23 Jahren unter einem Krieg mit wechselnden Namen und wechselnden Slogans. Das Einzige, was die Menschen - Frauen und Männer - in unserem Land wollen, ist Sicherheit und eine demokratische Regierung. Vielleicht gibt es viele Menschen in Afghanistan, die diese Ausdrücke so nicht benutzen würden. Aber wenn Sie sie nach ihren Werten und Hoffnungen fragen würden, käme das heraus. Allein damit, dass wir einen so deutlichen und starken Kampf gegen fundamentalistische Gruppen und für die Demokratie begonnen haben, ist schon viel erreicht
rz: Welche Ziele verfolgt RAWA für die Zukunft?
A: Wir werden weiter gegen die Fundamentalisten kämpfen, denn dass sie aus der Regierung verbannt sind, heißt nicht, dass sie nicht mehr existieren. Sie werden mit anderen Namen und anderen Gesichtern zurückkehren. Es ist die Aufgabe von RAWA und allen anderen anti-fundamentalistischen Gruppen, sie zu erkennen, sie deutlich zu benennen und gegen sie zu kämpfen. Unser Kampf ist nicht vorüber, wir kämpfen weiter für eine echte Demokratie und die Gleichberechtigung von Mann und Frau.