Es wird vermutet, dass Hunderte Pakistanis massakriert wurden
Allianz erschiesst Truppen, die von Taliban zurueckgelassen wurden
The Guardian , 13. November 2001
Luke Harding und Rory McCarthy in IslamabadEs erscheint, dass in der noerdlichen Stadt Mazar-I-Sharif Hunderte pro-talibanischer pakistanischer Kaempfer systematisch massakriert wurden, nachdem sie von den sich zurueckziehenden Taliban heimtueckisch zurueckgelassen worden waren, verlauteten Quellen in der vergangenen Nacht.
Die Taliban-Soldaten flohen vor vier Tagen aus Mazar, haben jedoch ein Kontingent von bis zu 1200 pakistanischen Jihadis nicht davon unterrichtet, dass sie sich aus der Gegend zurueckziehen. Oppositionelle Truppen kesselten die Pakistanis in einer Schule in den Randbezirken der Stadt ein und erschossen dann bis zu 200 von ihnen, bestaetigte ein Kommandeur gestern.
"Wir haben sie aufgefordert sich zu ergeben", sagte Mohammed Muhaqiq, ein Sprecher der oppositionellen Shia-Miliz der Hizb-i-Wahdat. "Sie haben uns mehrere Male aufgefordert, Vertreter fuer Verhandlungen hinueberzuschicken, aber ungluecklicherweise haben sie sie erschossen. Letztendlich haben wir den Befehl zum Angriff gegeben. Ungefaher 200 von ihnen (Pakistanis) wurden getoetet."
Letzte Nach war es unklar, ob die pakistanischen Freiwilligen, von denen viele gerade erst in Afghanistan angekommen waren, im Laufe von Kampfhandlungen getoetet wurden, oder ob sie erschossen wurden, nachdem sie sich ergeben hatten. Es verlautet, dass die Pakistanis, die in der Sultan Reza Schule in der Falle sassen, mindestens 48 Stunden lang Widerstand leisteten, nachdem Mazar gefallen war.
Gestern Nacht sagte Stephanie Bunker, UN-Sprecherin in Islamabad: "Es existieren unbestaetigte Berichte ueber gewalttaetige Vorfaelle sowie Massenhinrichtungen"
Berichte ueber moegliche Massaker durch die Northern Alliance, die sich letzte Nacht dichter um Kabul herum zusammenzog, werden die internationale Koalition alarmieren, die weitere Repressalien befuerchtet, falls oppositionelle Truppen die afghanische Hauptstadt einnehmen. Praesident Bush hat die Opposition dazu aufgerufen, Kabul nicht einzunehmen, bevor eine von der breiten Bevoelkerung getragene Regierung in der Lage sei, die Regierung zu uebernehmen. Seine Strategie scheint jedoch von den Ereignissen ueberrollt zu werden.
Die UN bestaetigten, dass in Mazar-i-Sharif Pluenderungen durch bewaffnete Banden stattfanden und dass am letzten Freitag vor und nach dem Fall der Stadt Bueros von Hilfsorganisationen und Lebensmittellager gepluendert wurden. Truppen der Northern Alliance haben einen Konvoi aus 10 Lastwagen der Unicef beschlagnahmt, der Zelte und Wasserpumpen transportierte, fuegten die UN hinzu.
Ausserdem pluenderten die Truppen Moebel, Computer und Radios aus dem Unicef-Buero. Taliban-Kaempfer hatten bereits alle Unicef-Fahrzeuge gestohlen, als sie suedwaerts nach Pul-i-Khumri an der Strasse nach Kabul flohen, sagte der Sprecher der Agentur, Chulho Huyan. "Schon bald nach dem Fall der Stadt betraten bewaffnete Banden die Unicef -Grundstuecke und haben fast alles mitgenommen, was sich dort befand".
Die Berichte bestaetigen Eindruecke, dass, waehrend zunehmend Staedte unter die Herrschaft der Northern Alliance fallen, bewaffnete Banden ein Macht-Vakuum fuellen, das durch den Abzug der Taliban entstanden war. "Bis jetzt ist die Situation hier immer noch unbestaendig, es wird ueber Pluenderungen und Verschleppungen von Zivilisten berichtet, von ausser Rand und Band geratenen Maennern mit Gewehren und andauernden Strassenschlachten", sagt Lindsay Davies, eine Sprecherin des World Food Programmes.
Es verlautetete, dass die Taliban regelmaessig "auslaendische" Helfer zurueckgelassen hatten, wenn sie ihre taktischen Rueckzuege antraten. "Es existiert ein latenter Rassismus in Afghanistan, trotz all diesen Geredes von den Taliban, die hinter ihren arabischen Bruedern stehen", sagt ein Helfer. "Es war klar, dass es Massaker geben wuerde. Das ist ueberhaupt nicht unwahrscheinlich."
In der belagerten Stadt Kabul stieg gestern eine Gruppe erschoepfter pakistanischer Stammensangehoeriger, die mehrere Tage an der Front verbracht hatten, in einen Bus und machten sich auf den Weg zurueck nach Hause. Die Gruppe sagte, dass sie vor 10 Tagen aus den halb-autonomen Gegenden des Pashtun-Stammes in Pakistan ins Land gekommen sei.
"Sie haben uns staendig bebombt und wir konnten es nicht stoppen", sagte der Anfuehrer der Gruppe vor deren Abreise. "Die Taliban haben uns gesagt, wir sollten wegfahren und nun fahren wir in unser Dorf in Bajaur zurueck", damit bezog er sich auf eine Gegend im nordwestlichen pakistanischen Grenzgebiet, aus der in den letzten Wochen Tausende von Stammensangehoerigen nach Afghanistan gegangen waren.
Mit ihren Gewwehren auf der Schulter und keinen Taschen mit ihren Habseligkeiten kletterten die zehn Maenner im Alter zwischen 30 und 60 Jahren in den Bus, den sie gemietet hatten, um sie nach Hause zu bringen. In anderen Gegenden Kabuls rasten Pick-up-Trucks, zur Tarnung mit Lehm beschmiert, herum, um Taliban-Kaempfer zu den Frontlinien im Norden und zurueck zu bringen.
Andere Quellen lassen verlauten, dass gestern in Herat, das an oppositionelle Truppen, gefuehrt vom ehemaligen Mujaheddin-Kommandeur Ismail Khan, gefallen war, eine grosse Anzahl bewaffneter Einwohner auf die Strassen gingen , als die ersten Pick-up-Trucks in der Stadt ankamen. Die Taliban haben dieselbe Infiltrationstechnik angewandt, um Kaempfer in die Stadt zu schmuggeln, wie sie es getan haben, als sie die Stadt im Jahre 1995 einnahmen.