[Interview einer New York Times Magazine] [Interview einer Minnesota University]
Paikaar-e-Zan (Frauenkampf), eine Publikation militanter iranischer Frauen, interviewten RAWA im Mai 1998. Wir stellen hier den gesamten Text zur Verfuegung:


*Berichten Sie uns ueber RAWA und RAWA’s politische Aktivitaeten
*Sind Sie innerhalb Afghanistans aktiv?
*Wie ist die Lage der Frauen in Afghanistan und welche Programme haben Sie in dieser Hinsischt?
*Denken Sie nicht, dass eine unabhaengige Organisation fuer Frauen ueberfluessig wird, wenn ein freies politisches Klima in Afghanistan herrscht?
*Initiieren Sie Aktivitaeten mit afghanischen Fluechtlingsfrauen im Iran?
*Welche Erwartungen haben Sie an andere Organisationen, und wie genau koennen wir Ihnen helfen?



Berichten Sie uns ueber RAWA und RAWA’s politische Aktivitaeten.
Die Revolutionaere Vereinigung der Frauen Afghanistans (RAWA) wurde einige Zeit vor dem coup d’etat der Parchami und Khalil-Verraeter gegruendet, um fuer die Rechte der unterdrueckten Frauen Afghanistans zu kaempfen. Aus der Invasion Afghanistans durch die russischen Streitkraefte und der Einsetzung von Marionettenregimes kam RAWA als eine der wenigen politischen Organisationen mit einem unbeugsamen Stand gegen die russischen Aggressoren und ihre Gehilfen hervor. Trotz der Terror-Atmosphaere, welche die Fundamentalisten in der Widerstandsbewegung geschaffen hatten, hat RAWA sich mit voller Kraft in den Kampf fuer die Befreiung gestuerzt. Dafuer wurde Meena, die Gruenderin und Leiterin unserer Organisation, von Khad (afghanischer Zweig des russischen Geheimdienstes KGB) in Zusammenarbeit mit der Golbodin-Bande ermordet. Die Moerder glaubten, wenn sie Meena toeteten, wuerde RAWA verstummen, aber RAWA hat aus dem Blut unserer Maertyrerin Meena Kraft geschoepft, und wir haben unsere Aktivitaeten weiter ausgedehnt. 

Nach der Tragoedie am 8. Saur (18. April) und der nachfolgenden Uebermacht der verraeterischen fundamentalistischen Banden hat sich RAWA’s Kampf gegen die Fundamentalisten und ihre Meister gewandt. Wir glauben, dass unser Volk ohne die Emanzipation Afghanistans aus den schmutzigen Klauen der Fundamentalisten der Sorte der Jehadi und Taliban niemals Frieden und Glueck erfahren wird, und dass das Erreichen selbst kleinster Verlangen, besonders der Frauen, im Kontext der "Emirate" dieser Kreaturen nichts weiter als ein unerreichbarer Traum bliebe. Daher muss jeder ernsthafte Versuch der Erreichung und Beibehaltung der Frauenrechte unvermeidlich die Kampfansage an fundamentalistischen Reaktionaere bedeuten, und so wird dieser Kampf unvermeidbarerweise die Form politischer Aktivitaeten und Kampf annehmen. RAWA’s saemtliche Aktivitaeten im kulturellen, kuenstlerischen und im Bildungsbereich sowie RAWA’s Veroeffentlichungen haben einen anti-fundamentalistischen Kern. Wir sind stolz darauf, dass wir seit der Gruendung der Revolutionaeren Vereinigung der Frauen Afghanistans (RAWA) eher staerker und kraeftiger geworden sind, als zu verblassen. Das kommt daher, wie ich bereits erwaehnt habe, dass wir in einer so blutruenstigen, entwuerdigenden, unmenschlichen und gewalttaetigen, frauenhassenden Atmosphaere unsere Gleichberechtigung nur erhoffen koennen , indem wir unsere Misere bei der Wurzel packen. Weil wir unsere Ziele unter dem Banner der Freiheit, Demokratie und gesellschaftlichen Gerechtigkeit ausrufen, haben wir verschiedene Veroeffentlichungen in Persisch, Pashto, Urdu und Englisch erreicht. Wir geben auch Musikkassetten mit anti-fundamentalistischen Liedern und freiheitlichen Themen heraus. Wir haben Veranstaltungen und Demonstrationen organisiert, um verschiedene Geschehnisse zu unterstreichen, und wir haben Interviews in den Medien gegeben. Obgleich sich die Taliban- und Jehadi- Hooligans auf die Brust trommeln und die Zaehne blecken, verkaufen unsere Aktivistinnen in Islamabad und Peshawar ganz oeffentlich Payan-e-Zan ("Botschaft der Frauen") und unsere anderen Veroeffentlichungen, das ist an sich schon eine unerwartete Sache und entnervt unsere Feinde. 

Ungluecklicherweise koennen wir wegen wirtschaftlicher Prboleme nur selten ins Ausland reisen, um fundamentalistische Schandtaten zu enthuellen und anzuprangern. Wir wurden beispielsweise daran gehindert, an einem Frauentreffen in Peking teilzunehmen, und darum konnte der Aufschrei der afghanischen Frauen, der zweifelsohne derselbe Aufschrei wie derjenige der am meisten gequaelten Frauen auf unserem Planeten ist, keine Reaktionen bei diesem einzigartigen Forum erreichen. Aber wir haben an den meisten Veranstaltungen und Treffen teilgenommen, die von politischen Parteien und Frauenorganisationen in Pakistan veranstaltet wurden, und wir haben das Thema der Herrschaft des religioesen Faschismus in unserem Lande auf die Tagesordnung gebracht. 

Wir glauben jedoch, dass all dies null und nichtig wird, wenn wir es nicht erreichen koennen, die Unmenge unterdrueckter Frauen gegen die Tyrannei der verraeterischen Fundamentalisten zu organisieren und zu mobilisieren.

Sind Sie innerhalb Afghanistans aktiv?
Der Wert unserer Arbeit und die Effektivitaet unserer Aktivitaeten ausserhalb Afghanistans sind die Fruechte der Arbeit, die wir innerhalb unseres Landes leisten, und die Fruechte der Unterstuetzung, die uns von unseren Mitgliedern und Sympathisanten innerhalb Afghanistans entgegengebracht wird. Momentan koennen wir innerhalb Afghanistans nicht offen operieren, weil die frauenverachtende Tyrannei des sovietischen Marionettenregimes durch eine weit schlimmere, monstroesere und schrecklichere Form des Faschismus im Namen der Religion ersetzt wrude. Abgesehen von der Rolle, die in gewissen pakistanischen Kreisen gepflegt wird, restriktiert die Anwesenheit der fundamentalistischen Bluthunde in diesem Lande auch weiterhin unsere Arbeit in Pakistan.
Wie ist die Lage der Frauen in Afghanistan und welche Programme haben Sie in dieser Hinsischt?
Die Geschichte der Leiden der Frauen innerhalb Afghanistans wiederzugeben,ist in diesem Interview nicht moeglich: es ist zu schmerzhaft und zu schrecklich. Nach der Tragoedie des 28. April 1992, als die Jehadi-Biester ihre Aggressionen auf Kabul und andere Staedte gerichtet haben, konzentrierten sich ihre krankhaften Angriffe auf die Vergewaltigung von Frauen, Maedchen und Kindern. Sie waren wie wilde Hunde, die nach Jahren der Gefangenschaft von der Kette gelassen wurden. Die Jehadi-Widerlinge ("Jehadi" ist der Name, den sie sich gaben, es bedeutet "Krieger im Krieg des Islam gegen Unglaeubigkeit") haben nicht einmal davor Halt gemacht, siebzigjaehrige Grossmuetter und alte Maenner zu vergewaltigen, ganz abgesehen von Orgien von "Geburts-Beobachtungen". Viele Frauen und junge Maedchen haben Selbstmord begangen, um nicht Opfer der Jehaidi- Perversitaeten zu werden. All das kam zu den Massakern, Pluenderungen, willkuerlichen Zerstoerungen und vielen schrecklichen Verbrechen dazu, die die Fundamentalisten begangen haben, und die nun zu der Entwicklung vieler seelischer Krankheiten gefuehrt haben, besonders bei den Frauen Kabuls. Es kann festgestelllt werden, dass es keine weibliche afghanische Person ueber zehn Jahre alt gibt, die nicht in irgendeiner Weise durch den Alptraum der letzten fuenf Jahre traumatisiert worden waere. Obgleich die Vergewaltigungen nach der Machtuebernahme der Taliban nicht zugenommen haben, gab es fuer unsere Frauen keine Erleichterung der immerwaehrenden Qual und Sorgen. Die Taliban Gebrueder der Jehadi ­ Schufte haben die fruehere Form der entsetzlichen Qual durch eine toedlichere Form seelischer Folterung ersetzt, durch die Entfesselung einer terrorisierenden religioesen Inquisition, durch die Erniedrigung von Frauen und dadurch, dass den Frauen die grundlegendsten Dinge des menschlichen Lebens versagt werden. Sogar heutzutage ist es Frauen verboten, in Bildungseinrichtungen oder Regierungs-Bueros zu gehen, es ist ihnen verboten, fuer ihren Lebensunterhalt zu arbeiten oder sogar oeffentliche Baeder, die ausschliesslich nur fuer Frauen sind, zu besuchen, auch medizinische Einrichtungen koennen sie nicht betreten; kurz gesagt, Frauen koennen ihre Haeuser nicht verlassen, ohne einen religioes verordneten Anstandshueter. Diese Situation ist beispiellos, in der Gegenwart und zu keinem Zeitpunkt in der Vergangenheit, in keinem noch so Fundementalismus- oder Mittelalter-verpesteten Land der Welt gibt es dazu eine Parallelle. Wir glauben, dass es unter solchen Umstaenden unsere wichtigste Pflicht ist, das Bewusstsein der Frauen zu wecken und sie fuer einen entschiedenen Kampf gegen die fundamentalistischen Raubtiere zu mobilisieren. 

Wir streben danach, die feigen Verschwoerungen der Truemmer der Khalqi, Parchami und labernden kompromiss-suchenden Intelligentsia und Literatur-aesthaeten zu enthuellen, indem wir die verraeterische und letztendlich frauenhassende Natur jeglicher und aller Vertraeglichkeiten und Kompromisse mit den Fundamentalisten beweisen. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass wir ohne eine kompromisslose Haltung gegen den Fundamentalismus nicht den allerkleinsten Schritt in Richtung auf unsere Ziele machen koennen. Zusaetzlich zu unserer Kernpolitik, die wir im vorhergehenden beschrieben haben, streben wir danach, Kontakt mit Familien von Maertyrern und Opfern der fundamentalistischen Moerder und Pluenderer herzustellen, um ihnen auf jede Weise erdenkliche Weise zu helfen, wie immer wir koennen. Wir versuchen auch, wo immer moeglich, Schulen zu organisieren und Schulen zu unterstuetzen, die von unseren Anhaengern eingerichtet wurden. Solche Neben-Aktivitaeten haengen zu einem Grossteil von Mitteln ab, die uns leider meistens fehlen.

Denken Sie nicht, dass eine unabhaengige Organisation fuer Frauen ueberfluessig wird, wenn ein freies politisches Klima in Afghanistan herrscht?
Vorlaeufig und solange, wie der Gestank fundamentalistischer Vorherrschaft weiterhin die politische Atmosphaere unseres Landes vergiftet, ist es ein schlechter Witz, davon zu reden, dass in Afghanistan ein freieres politisches Klima entsteht. Aber abgesehen von der Situation in Afghanistan, wenn wir einmal ganz allgemein ueber die Notwendigkeit einer unabhaengigen Frauenorganisation sprechen, dann glauben wir, dass die Abhaengigkeit oder Unabhaengigkeit einer solchen Organisation ein formalistisches Thema zweitrangiger Bedeutung ist. Was wirklich wichtig ist, sind die Ziele, die jegliche Frauenorganisation verfolgt. Folgt sie einem kompromisslosen Stand gegen die theokratische Regierung, oder naehert sie sich ihr mit harmoniesuchenden und kompromissbereiten Gesten? Mit anderen Worten, was den Wert einer Organisation (von Maennern, Frauen oder nicht geschlechtsgebunden) ausmacht, sind die Ziele, die ihre Prinzipien widerspiegeln und die zeigen, ob die Organisation entweder moralisch einwandfrei ist, ob sie energetisch und respektabel ist, oder ob es sich um hohle, destruktive Organisationen handelt, die lediglich Marionetten in der Hand der umgebenden Maechte sind. Andererseits glaube ich, dass die Abhaengigkeit oder Unabhaengigkeit einer Frauenorganisation von den spezifischen gesellschaftlichen und politischen Umstaenden der jeweiligen Laender abhaengt, in denen sich diese Organisationen befinden. Im Iran gibt es zum Beispiel eine unabhaengige Frauenorganisation, die der islamischen Republik vertraeglich und kompromissbereit gegenuebertritt, wir glauben, dass es diese Organisation besser nicht geben sollte, dass sie tot und unfunktionell weniger Schaden anrichten wuerde als lebendig und aktiv. 

Andererseits, wenn eine Organisation nicht "unabhaengig" ist, jedoch eine tragende Rolle bei den revolutionaeren Kaempfen der Frauen einnimmt, dann wuerde das Weiterbestehen dieser Gruppe und ihr Kampf von den iranischen Frauen gefordert werden.

Initiieren Sie Aktivitaeten mit afghanischen Fluechtlingsfrauen im Iran?
Durch die extrem erstickende politische Atmosphaere in Iran konnten wir keinen Kontakt mit afghanischen Frauen dort haben , wie es uns in Pakistan moeglich ist. Ganz von Anfang an unserer Aktivitaeten haben wir heimlich Payam-e-Zan und unsere anderen Veroeffentlichungen verteilt und im Iran Cassetten. Im Iran ist es strafbar, eine Ausgabe der Payam-e-Zan zu besitzen, und unsere Leserinnen wurden schon mehrmals inhaftiert und gefoltert nur aus dem Grunde, dass unser Magazin an ihre Adresse geschickt worden war.
Welche Erwartungen haben Sie an andere Organisationen, und wie genau koennen wir Ihnen helfen?
Unsere erste und wichtigste Forderung ist, dass iranische Organisationen die Afghanistan-Thematik nicht ignorieren oder herunterspielen. Wie kann es moeglich sein, dass man sich als revolutionaer, demokratisch, freiheitsliebend und nach Gerechtigkeit strebend bezeichnet, wenn man nicht von den Einkerkerungen und Zerstoerungen im Nachbarshaus schockiert ist? Iranische Freiheitskaempfer sollten niemals vergessen, dass das, was in Afghanistan herrscht, in der Geschichte noch nie dagewesen und noch nie vorgekommen ist. Es soll reichen zu erwaehnen, dass die Blutsauger, die im Iran und in Saudi-Arabien an der Macht sind, dazu bewegt wurden einzugestehen, dass die Aktionen der Jehadi "den Ruf des geliebten Islam schaedigen". Wir ermahnen die iranischen Freiheitsorganisationen, niemals zu vergessen, den Verrat und Betrug der Fundamentalisten in Afghanistan anzuprangern, und sich verpflichtet zu fuehlen, in jeglicher Form und mit allen Mitteln den verstreuten Widerstand unseres Volkes zu unterstuetzen, besonders den Widerstand unserer Frauen, in den Kaempfen um ihre Befreiung. Wir erwarten von iranischen Organisationen, dass sie das Thema der Befreiung Afghanistans aus fundamentalistischer Unterdrueckung zu ihrer eigenen Sache machen, genauso wie wir die Emanzipation des iranischen Volkes aus den blutigen Klauen der faschistischen Theokraten als einen Bruch in der Kette betrachten, die unsere Haende, Fuesse und Seelen fesselt.