Verbrechen der “Nordallianzen”, betrachtet mit den Augen einer trauernden Mutter

RAWA, 28. Dezember 2001

Während der vier langen Jahre, in denen die Jihadi-Verbrecher Kabul regierten, wurden Zehntausende Zivilisten, einschließlich des jungen Sohnes dieser Frau, zu Märtyrern. Internationalen Quellen zufolge verloren in diesen Jahren allein in Kabul fünfzigtausend Zivilisten ihr Leben, und Zehntausende wurden verletzt und verstümmelt. Unsere Quellen wissen, dass die wirklichen Zahlen weitaus höher sind.

Diverse Gruppen bekämpften sich in verschiedenen Teilen der Stadt. Kabul war in Blut gebadet und wurde während der Herrschaft der Jihadi-Verbrecher zu Asche verbrannt. Die Verbrechen der Fundamentalisten beschränkten sich nicht auf Massenmorde. Sie vergewaltigten junge Mädchen und Frauen, folterten ethnische Minderheiten und plünderten nationale Vermögenswerte und öffentliches Eigentum. Sie zwängten Gefangene in Stahlcontainer und rösteten sie in der heißen Sonne, und sie schlugen ihnen Nägel in die Stirn. Niemals in der Geschichte Afghanistans wurden solche Gräueltaten bezeugt, gegen hilflose Zivilisten begangen.

Unglücklicherweise neigt die Welt dazu, mit Massenmorden durch ein schmerzvolles Schweigen und einen bequemen Gedächtnisverlust umzugehen.

Die bewaffneten Truppen von Dustom, Gulbuddin, Ahmed Shah Masoud, Rabbani, Sayyaf und Khalili der Hezb-e-Wahdat (Einigkeitspartei) sind die Hauptverbrecher. Heute hat sich die Mehrheit dieser Mörder unter dem Banner der „Nordallianzen“ zusammengeschlossen. Der Westen behandelt sie als Verbündete. Die Menschen Kabuls werden diese Jahre der Gräueltaten niemals vergessen. Einige Kräfte mögen bequemerweise die Augen vor ihren bösartigen Gräueltaten verschließen, aber die Geschichte ist nicht blind.

Die Führer der "Nordallianzen" müssen genauso der Gerechtigkeit zugeführt werden wie Milosovich und seinesgleichen, die für grauenvolle Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt wurden.

RAWA hat eine afghanische Mutter gebeten, uns vor laufender Videokamera ihre Geschichte zu erzählen. Sie hat uns erzählt, wie sie ihren geliebten Sohn verloren hat, einige Monate bevor die Fundamentalisten am 28. April 1992 die Macht in Kabul übernahmen.

Im folgenden lesen Sie die Niederschrift des Videobandes, die Niederschrift dessen, was diese Mutter uns in ihrem eigenen Dialekt erzählt hat. Dem wurde nichts hinzugefügt, und nichts wurde weggelassen. Das Interview wurde 1999 von RAWA gefilmt.


"Es war der neunzehnte Tag des Monats des Löwen, im Jahre 1371 (islamischer Sonnenkalender: 10. August 1992). Die Schlacht zwischen den Kriegsherren Gulbuddin und Dustom tobte in Kabul.

Ungefähr um sieben Uhr morgens gingen Leute zur Bäckerei an der Kreuzung, um Brot zu kaufen. Acht oder zehn Leute waren zusammen. Sie warteten alle am selben Platz, vor der Bäckerei. Sie hatten noch kein Brot gekauft, als eine Rakete von Gulbuddin, dem Verräter, direkt in die Kreuzung neben der Bäckerei einschlug und explodierte. Ein Splitter traf meinen kleinen Sohn (Khwaja Farid) in den Brustkorb, es schoss sein Herz durch seinen Rücken hindurch aus seinem Körper hinaus, und er starb auf der Stelle. Mein Schwiegersohn wurde auch verletzt. Ein weiterer junger Mann, 23 oder 24 Jahre alt, war zum Haus seiner Tante gekommen, um sie zu überreden, unsere Gegend zu verlassen. Er wurde auch zum Märtyrer und sein Körper wurde in viele Stücke zerrissen. An dem Tag gab es in unserer Nachbarschaft weitere 31 Tote oder Verwundete. Die Schlacht war grauenvoll.


The bereaved mother


Oberhalb unserer Häuser und hinter unseren Häusern waren Truppen von Dustom. Ihnen gegenüber, auf der anderen Seite, standen die Krieger Gulbuddins. Die Schlacht war so intensiv, dass der leblose Körper meines Babys für einen oder zwei Tage im Hause bleiben musste. (Anmerkung des Übersetzers: Moslems bahren ihre Verstorbenen nicht auf, sondern begraben sie sehr kurz nach deren Sterben, was mit der Hitze in den Ländern zu tun haben mag, daher ist es für diese Menschen sehr schlimm, dieser Tradition nicht folgen zu können.) Gott beschütze dich vor dem, das diese Rakete mir und meinem Leben angetan hat.

Sie wurde von Gulbuddin, diesem Verräter, abgeschossen. Wir frühstückten im Haus, als die Rakete einschlug und mein liebes Kind auf der Türschwelle der Bäckerei tötete. Wir hörten die Explosion.

Ich rannte aus dem Haus, aber es war niemand auf der Strasse, weder sein Vater, noch seine Brüder, und seine Schwestern auch nicht. Jeder rannte barfuss in Richtung der Kreuzung.

Als ich barfuss und ohne Schleier auf die Kreuzung zurannte und rannte, sah ich meinen anderen Sohn mein Kind tragen. Blutgetränkt, voller Blut, von Kopf bis Fuß. Seine Schwestern, seine Brüder und sein Vater zitterten. Jeder aus der Nachbarschaft, der mein Kind kannte oder es gesehen hatte, weinte. Ich rannte auf mein Kind zu, aber es war schon tot. Sein Vater schrie "Dein Sohn ist gestorben, dein Sohn ist ein Märtyrer, er hat sein Leben für dich gegeben". Ich rannte zu meinem Baby, aber er atmete nicht mehr.

Sie brachten ihn nach Hause und ließen ihn im Wintergarten. Einer der Nachbarn sagte: "In Gottes Namen, lasst uns ihn hineinbringen". Sie brachten ihn hinein und legten ihn drinnen ab.

Meine Mutter und meine Brüder wohnten in einem anderen Stadtteil. Auch in ihrer Nachbarschaft war intensives Kreuzfeuer. So sehr, dass keiner aus dem Haus gehen und zur Beerdigung meines Sohnes kommen konnte.

Ungefähr um 6 Uhr abends war unsere Nachbarschaft von Dustoms Kämpfern umzingelt. Ein Junge aus der Nachbarschaft kam und sagte: "Versteckt die Mädchen! Dustom-Truppen durchsuchen die Häuser". Mein Sohn und seine Frau waren anderthalb Jahre verheiratet. Sie stiegen in den Keller und wir verdeckten den Einstieg in den Keller. Mein Mann und mein anderer Sohn waren bei mir im Zimmer. Vom frühen Abend an, die ganze Nacht, bis zum Morgengrauen, weinte und trauerte ich über dem leblosen Körper meines Sohnes, der zwei Tage und eine Nacht in diesem Raum blieb.

Dustoms Männer durchsuchten die Nachbarschaft, sie gingen von Dach zu Dach und kletterten in die Häuser hinunter, wo sie plündern oder jemanden vergewaltigen konnten.

Einer rief vom Dach unseres Hauses: "Halts Maul! Warum das Geweine?" Ich rief zurück: "Die Leiche meines kleinen Jungen liegt blutgetränkt vor mir, wie könnte ich da nicht weinen?" Er sagte: "Gott wird dir Geduld geben. Die Schlacht ist schlimm. Viele sind gestorben und es gibt viele Verwundete. Du könntest dich auch zusammenreißen und das ertragen." Ich sagte zu ihm: "Niemand könnte in solch einer Zeit ruhig bleiben. Sein Vater (mein Mann) sagte "Wenn ihr den Kampf beenden könntet, dann könnten wir unseren kleinen Sohn begraben". Er erwiderte: "Gott ist voller Gnade". Später in der Nacht kletterten sie in einige Häuser und plünderten und vergewaltigten Mädchen.

Am nächsten Morgen, ungefähr um 10 Uhr, kamen einige Nachbarn, die mit mir oder seinem Vater (meinem Mann) verwandt waren. Sie sagten: "Liebe Tante, die einzige Lösung ist, aus jeglichem Holz, das wir finden können, einen Sarg zu bauen. Einer von uns ist Tischler". Sie gingen zurück nach Hause und bauten einen Sarg, aber im intensiven Kreuzfeuer konnten sie ihn nicht zu uns bringen.

Wir haben seinen Körper nicht gewaschen. Sie haben ihn in den Sarg gelegt, und unter schwerem Beschuss trugen wir ihn zum Friedhof. Viele verirrte Geschosse schlugen neben meinen anderen Kindern ein, als sie das Grab für meinen Sohn aushoben. Einer der Nachbarn wurde verletzt.

Am nächsten Morgen, dem dritten Tag, kam mein Bruder trotz des intensiven Kreuzfeuers aus Khair Khana, er hatte viele Probleme. Er sagte: "Lass uns in mein Haus gehen, bevor noch mehr von euch hier getötet werden."

Am nächsten Morgen machte sich mein Mann mit meinen zwei Kindern mit meinem Bruder auf den Weg, um zu dessen Haus zu gehen. Wir ließen die Haustürschlüssel bei Nachbarn und sagten ihnen, dass wir weggehen. Alle Räume ließen wir offen stehen und nahmen nur einen großen Koffer mit.

Vor der Kreuzung hielten uns Dustom-Soldaten an. Sie sagten: "Geht nicht über die Kreuzung, es könnten dort Raketen einschlagen. Es ist sicherer, durch die Hintergassen zu gehen." Als wir die Gasse betraten, fingen sie an, uns auszurauben. Erst zogen sie meinem Sohn die Armbanduhr vom Handgelenk, dann nahmen sie die Geldbeutel meines Mannes und meines Bruders. Unter unbeschreiblichen Schwierigkeiten und Gefahren, von einer Hintergasse zur nächsten wechselnd, schafften wir es, zu meines Bruders Haus zu gelangen.

Später erfuhren wir, dass Dustom-Truppen die Tür unseres Hauses aufgebrochen und alles, was wir hatten, geplündert hatten, sie haben viele Spiegel in den Zimmern zerbrochen und alle Koffer aufgebrochen. Gulbuddin plünderte auf seine Art, Ahmad Shah Masoud in einer anderen Weise.

Danach konnten wir nie wieder in unser Haus zurückkehren. Wir haben bei anderen Leuten gewohnt. Bis zum heutigen Tage sind wir von einem Ort zum anderen gewandert. Meine Familie hat viel gelitten, aber der Schmerz des Verlustes meines kleinen Sohnes ist am schlimmsten. Wir haben ihn immer vor Augen, jede Sekunde, jede Minute, immer. Was kann ich sagen?"

Vom Kummer überwältigt und in ihrem Schmerz vergraben wurde sie still.



  • Weitere Reporte - Fotos der blutigen Herrschaft der Nordallianzen aus den Jahren 1992-­96: Teil 1 | Teil 2 | Fotos
  • Gewehr Entsetzen von Kabuls liberators
  • Nordallianzen der Brutalität bei der Einnahme Kunduz bezichtigt
  • Was werden die Nordallianzen nun in unserem Namen tun? Ich mag nicht daran denken...
  • Keine Überraschung über Gerüchte über erneute Gräueltaten durch unsere "Fuß-Soldaten"
  • Viele afghanischen Menschen werden von der Vergangenheit der Nordallianzen gejagt
  • Bericht über die Massakrierung Hunderter Pakistanis
  • UN berichten über Exekutionen in Mazar-i-Sharif
  • Einwohner Kabuls fürchten Nordallianzen, sorgen sich um die Sicherheit Kabuls



  • h t t p : / / w w w . r a w a . o r g