Jungle World, 12. Dezember 2001 |
Shahala
»Die Nordallianz ist keine Verbesserung«
Die Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA) ist einer größeren Öffentlichkeit erst seit dem Krieg der USA gegen die Taliban bekannt. Doch die Organisation wurde bereits 1977 von einigen Akademikerinnen gegründet, seither kämpft sie für die Rechte der Frauen in Afghanistan. Unter der fundamentalistischen Herrschaft der Taliban konnte die Rawa nur noch im Untergrund agieren. Die Frauen riskierten die Todesstrafe und wurden selbst im Exil von Anhängern der Taliban verfolgt.
Shahala, so ihr Deckname, ist Mitglied der Rawa. Mit ihr sprach Sandra Pauli.
In TV-Berichten sind neuerdings häufig unverschleierte Frauen auf den Straßen von Kabul zu sehen, bis vor kurzem wäre das unvorstellbar gewesen. Wird der Sieg der Nordallianz von den afghanischen Frauen als Verbesserung empfunden?
Nein. Eine Verbesserung stellt die Nordallianz auf keinen Fall dar. Sie ist genauso schlimm wie das Taliban-Regime, auch wenn sie sich nach außen progressiver gibt. Viele Frauen sind vor den Truppen der Nordallianz geflohen, weil sie die zahlreichen Vergewaltigungen, zu denen es unter der Herrschaft der Nordallianz kam, nicht vergessen haben.
Und wie sieht es nun mit den Aktivitäten der Rawa aus? Sind Sie weiterhin gezwungen, im Untergrund zu arbeiten?
Unsere gesamte Arbeit hat natürlich unter dem Krieg gelitten, auch wenn wir immer versuchten, das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. Aber die Nordallianz ist ganz bestimmt keine Hilfe für uns. Auch wenn ihre Führer nicht so restriktiv erscheinen wie die Taliban, sind sie doch Fundamentalisten und werden unsere Arbeit niemals unterstützen.
Bis unsere Arbeit so ungefährlich ist, dass wir sie völlig öffentlich machen können, wird sicherlich noch viel Zeit vergehen. Die Fundamentalisten sind nicht von heute auf morgen weg, und solange sie Macht haben, werden sie uns Steine in den Weg legen.
Allerdings ist den Vereinten Nationen nach dem 11. September klar geworden, dass der Fundamentalismus, den sie jahrelang ignoriert oder sogar unterstützt haben, ein Weg zum Terrorismus sein kann, den sie jetzt erbittert zu bekämpfen versuchen. Und dadurch sind antifundamentalistische Gruppen wie die Rawa bekannt geworden. So sind das Elend der Frauen in Afghanistan und unser Kampf gegen die ultra-chauvinistische Herrschaft der Taliban erst ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gelangt. Insofern profitieren wir von der aktuellen Entwicklung.
Dennoch scheint die Rawa keine relevante Gesprächspartnerin für die Vereinten Nationen zu sein, wenn es um Verhandlungen über die Zukunft des Landes geht. Zumindest gab es für Ihre Organisation keine offizielle Einladung zu den Verhandlungen in Bonn.
Wir wurden bei den Verhandlungen von einer Frau vertreten, allerdings nur inoffiziell. Der Name Rawa durfte in Bonn auf keiner Gästeliste auftauchen, dafür war der Druck der Fundamentalisten zu stark.
Sind Sie enttäuscht von den Vereinten Nationen, dass sie diesem Druck nachgegeben haben?
Natürlich ist dieses Verhalten unerfreulich für uns. Aber das war die einzige Möglichkeit, uns an den Verhandlungen zu beteiligen. Und der Schlüssel zum Frieden und zur Überwindung der Fundamentalisten liegt nun einmal in der Hand der emanzipatorischen Gruppen.
Wäre es nicht effektiver, sich mit anderen Frauengruppen zusammenzuschließen, wie etwa mit Shuhada oder dem Afghan Women's Network?
Wir sind sehr bemüht, neue Netzwerke aufzubauen. Es stellt sich allerdings die Frage, mit wem wir kooperieren sollen. Wir sind nicht über so lange Zeit unabhängig geblieben, um uns jetzt mit Gruppen zusammenzuschließen, die kein klares politisches Konzept haben. Wir haben die Befürchtung, dass sie den Fundamentalismus und die damit einhergehende Unterdrückung der Frauen nicht entschlossen genug bekämpfen wollen. Das ist vor allem ein Problem der meisten humanitären Organisationen.
Die Rawa bezeichnet sich als revolutionäre Frauenorganisation. Was verbinden Sie mit "revolutionär"? Wegen dieses Wortes wurde der Rawa vor dem 11. September nicht nur von Großbritannien jede finanzielle Unterstützung verwehrt.
Unsere Konzepte haben nichts mit einem sozialistischen Verständnis von Revolution gemein. Wir kämpfen für ein demokratisches Afghanistan, in dem Männer und Frauen die gleichen Rechte haben und in dem das Unrecht, das dort zum Alltag der Frauen gehört, nicht mehr vorstellbar ist. Wir sind gegen den Fundamentalismus und gegen den Chauvinismus.
Vor allem aber sind wir die erste Frauenorganisation, die sich ohne jegliche Unterstützung von außen auf den Kampf gegen das bestehende System eingelassen hat. Egal zu welcher Zeit, wir waren den Herrschenden immer ein Dorn im Auge, der Marionettenregierung der Sowjetunion und auch den Taliban. Wir haben einen guten Grund, uns revolutionär zu nennen. Und das lassen wir uns auch nicht so einfach nehmen.
Ein Ziel der Rawa sind demokratische Wahlen. Wie ist dieses Vorhaben in einem Land zu verwirklichen, in dem 96 Prozent der Bevölkerung weder lesen noch schreiben können?
Dafür braucht das Land zunächst eine demokratische Kultur, die erst noch wachsen muss, bevor wir über demokratische Wahlen sprechen können. Das ist auch ein Grund, weshalb wir die Loya Jirga, die traditionelle Art der Wahl, gutheißen. Außerdem haben die Russen das Wort "Demokratie" ebenso für ihre Machenschaften missbraucht, wie die Fundamentalisten das Wort "Religion". Es wird also noch viel Zeit vergehen, bis sich die Einstellung der Menschen in Afghanistan zur Demokratie wirklich verändern wird.
Auf der Suche nach einer vorübergehenden Lösung haben Sie vor den Verhandlungen in Bonn den König als einen Hoffnungsträger bezeichnet. Allerdings mit der Einschränkung, dass er sich unglaubwürdig macht, wenn er mit der Nordallianz paktiert. Nun saß er mit Vertretern dieser Allianz in Bonn an einem Tisch, um über die Zukunft Afghanistans zu verhandeln. Ändert das Ihre Meinung?
Nein, sie müssen miteinander in Verhandlungen treten, daran führt kein Weg vorbei. Das ist in der momentanen Situation nicht anders möglich. Aber für uns ist der König keine ideale Lösung, egal mit wem er zusammenarbeitet. Diese Gespräche können nur ein Anfang sein, um die Etablierung einer Übergangsregierung zu ermöglichen.
Die Rawa befürwortet seit langem den Einsatz von Sicherheitstruppen der Vereinten Nationen, um Afghanistan von den Taliban zu befreien. Das ist jetzt tatsächlich vorgesehen. Sind sie damit zufrieden?
Wir unterstützen den Einsatz, weil wir darin eine Hoffnung für die Menschen in Afghanistan sehen. Es wäre gut, wenn die Fundamentalisten für ihre Verbrechen vor internationale Gerichte gebracht werden würden.
Das heißt aber noch lange nicht, dass wir der Uno vollkommen vertrauen. Wir haben die westlichen Staaten schon lange vor dem 11. September immer wieder vor den Fundamentalisten gewarnt, ohne Erfolg. Erst wegen der Anschläge in den USA haben wir Gehör gefunden und hoffen nun, dass der Westen erkannt hat, dass er seine Politik ändern muss. Wenn sie weiter die Fundamentalisten unterstützen, werden sie nur weitere Ussama bin Ladens schaffen.