likedeeler-online.de , 7. Dezember 2001


Wieviele Quadratmeter RAWA in Afghanistan?

Afghanische Frauen kämpfen für Menschenrechte - Eine Unterstützerin war zu Gast im IKUWO

„Ich glaube, dass jeder Mensch die Welt verändern kann, wenn auch nur die vier Quadratmeter um sich herum.“ sagte uns Mariam Notten. Am 7. Dezember 2001 war sie im Greifswalder IKUWO zu Gast. Während des dezemberlichen Veranstaltungsmarathons im „IKUWO“ fanden eine Reihe von Vorträgen zu sozialpolitischen Themen, u.a. eine Veranstaltung zu dem beherrschenden Thema der letzten Monate – Afghanistan – statt. Eine pakistanische Vertreterin der Frauenorganisation RAWA war leider verhindert. Für sie kam Mariam Notten, Exilafghanin und Dozentin an einer sozialpädagogischen Fachschule in Berlin nach Greifswald, um die „Revolutionary Assoziation of Woman of Afghanistan (RAWA)“ vorzustellen. Frau Notten kam nach dem Abitur 1967 nach Berlin, um sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen. Gerade als sie nach Kabul zum Beginn eines Medizinstudiums zurückkehren wollte, ereignete sich der prosowjetische Putsch. Zwei Jahre später marschierten sowjetische Truppen ein. Seitdem lebte Frau Notten nicht mehr in Afghanistan, blieb aber Beobachterin und Kritikerin der sich dort abspielenden Ereignisse und Interventionen seitens verschiedener Großmächte und Geheimdienste. Seit dem 11. September ergreift sie das Wort gegen die Bombardierung ihres Landes, legt in diversen Vorträgen die Geschichte und Hintergründe militärischen und geheimdienstlichen Eingreifens von Außen in die Geschicke Afghanistans offen und wirbt für Unterstützung der einzigen aktiven Organisation, die sich vor Ort für Frauenrechte einsetzt – RAWA. Wir sprachen mit ihr über RAWA, die aktuelle Lage in Afghanistan und die Zukunftsaussichten dieses Landes.

Früher haben Sie im Afghanischen Kulturzentrum gearbeitet, dass besonders für Flüchtlinge und geflohene Frauen politisch aktiv war und ist. In welchem Rahmen machen Sie jetzt politische Arbeit? Seit dem 1. September mache ich politische Arbeit, Öffentlichkeitsarbeit über die Verhältnisse in Afghanistan, über den Krieg, über die Taliban und über das, was seit dem 11. September passiert.

Sind sie Muslimin?

Ja.

Gibt es Ihrer Meinung nach, die Chance in Afghanistan ein demokratisches, auf einem aufgeklärten Islam basierendes System aufzubauen?

Nicht mit den Fundamentalistengruppen, die gerade auf dem Petersberg konferiert haben. Sie haben ja gezeigt, dass sie nicht bereit sind, eine demokratische Regierung zu dulden. Außerdem sind alle mächtig und bewaffnet und kämpfen schon seit zehn Jahren um die Macht. Jetzt will jeder das größte Stück aus diesem Kuchen.

Was denken Sie, welche Folgen hat die Petersberger Konferenz?

Folgen gibt es bereits seit vorgestern, seit die Petersberger Delegation wieder nach Afghanistan zurückgekehrt ist. Dostum, z.B., hat gedroht, die ganzen Beschlüsse zu boykottieren, wenn man ihm nicht noch mehr Ministerposten überlässt. So wird es auch in Zukunft sein. Die Gruppen, die auf dem Petersberg waren, werden um wichtige Posten in Afghanistan streiten. Ich weiß nicht, inwieweit die UNO es schafft, dort Truppen so schnell wie möglich zu stationieren, die diese Gruppen entwaffnen. Das wäre die wichtigste Aufgabe der UNO, dass die Waffen eingesammelt werden. Damit die Gruppen weniger Macht und Waffengewalt besäßen. Damit man sie zwingen könnte, sich an einen Tisch zu setzen, sich moderat zu verhalten. Jetzt sprechen sie nur mit Waffen.

Ist eine Entwaffnung aller Gruppen möglich?

Ich weiß nicht, ob man überhaupt in der Lage sein wird, z.B. Dostum und seine Leute zu entwaffnen. Die USA schafft einfach Fakten, wird aber selbst damit gar nicht fertig. Die afghanische Bevölkerung muss nun allein damit zurecht kommen. Die Petersberg-Konferenz ist einberufen worden, obwohl die Nordallianzgruppen bis an die Zähne bewaffnet sind und de facto Macht in Afghanistan haben. Und obwohl die Warlords überall auf dem Land die Macht besitzen. Aber auf dem Petersberg wurde über die zukünftige Regierung verhandelt. Anstatt es umgekehrt zu machen, nämlich zunächst alle zu entmachten, zu zivilen Personen zu machen und sie dann an einen Tisch zu setzen.

Was wünschen Sie sich? Wie wäre Ihr Wunschafghanistan?

Für mein Demokratieverständnis wäre es eine historische Chance gewesen, wenn die UNO dafür gesorgt hätte, dass nicht nur die Kriegsparteien an einem Tisch sitzen, nur mit dem König und einer Handvoll alter Technokraten als Gegengewicht, sondern dass noch ein paar andere Gruppen bei der Konferenz dabei gewesen wären, z.B. autonome Frauengruppen.

Es waren doch zwei Frauen bei der Konferenz dabei?

Ich meine Frauen nicht als einzelne Frau, als Anhängsel irgendeiner Partei oder des Königs, sondern wirklich als eigenständige, demokratische Frauengruppe. An diesen Gruppen mangelt es nicht. RAWA z.B. wäre eine der Frauengruppen, die es in den letzten 20 Jahren in und um Afghanistan herum gelernt haben, solchen Männern standzuhalten und am Leben zu bleiben. Sie wären gute Partnerinnen als Gegengewicht. Es wäre mein Wunsch gewesen, dass sie auf dem Petersberg hätten dabei sein können. Aber diese historische Chance hat leider auch der Beste verpasst. Ob die zukünftige Regierung diesen Frauen die Chance geben wird, sich an der Macht zu beteiligen, bezweifle ich.

Sie selbst unterstützen RAWA durch ihre Vorträge und andere Aktivitäten. Gibt es auch engere Verbindungen zu RAWA über das afghanische Kulturzentrum in Berlin?

Diese sind erst in den letzten zwei Monaten entstanden. Aus der Verzweiflung heraus, dass die ganze Welt über RAWA Bescheid wusste und wir keinen Kontakt mit ihnen hatten. Jetzt haben wir persönlichen Kontakt. Es sind ja eigens zur Konferenz zwei RAWA-Frauen nach Deutschland gekommen, aber sie durften nicht als eigenständige Gruppe teilnehmen. Diese beiden haben wir persönlich kennengelernt.

Die Spenden- und Unterstützungskampagne läuft über RAWA Deutschland und nicht über das afghanische Kulturzentrum?

Am Anfang als RAWA Deutschland noch nicht so richtig organisiert war, haben wir ganz spontan über unser Konto mit Stichwort „RAWA“ Geld gesammelt, weil uns viele Anfragen erreichten, wie man helfen könne und haben dann geschaut, wie wir RAWA das Geld zukommen lassen können. Inzwischen haben wir einmal 3.000 DM direkt auf das RAWA Konto in Quetta überwiesen. Über die Weitergabe der restlichen Spenden, werden wir demnächst mit zwei RAWA- Frauen in Deutschland reden, damit auch alles nach Peshawar gelangt.

Gibt es Schwierigkeiten bei der Weitergabe des Geldes an RAWA?

RAWA hat auch in Pakistan große Probleme mit der dortigen Regierung. Ihre Konten werden ständig gesperrt oder beaufsichtigt. Es ist nicht so einfach, ihnen Summen über ein paar tausend Mark hinzuschicken.

Was können die Leserinnen und Leser tun?

Über RAWA sprechen, diese Frauenorganisation bekannt machen und die eigene Regierung, die Verantwortlichen fragen, warum sie RAWA als eigenständige Gruppe nicht zur Petersberger Konferenz eingeladen haben. Natürlich können sie mit Spenden helfen. RAWA lebt von Spenden. Die Gruppe bekommt anders als die Parteien, nichts von den Millionen aus der Aufbau- und Entwicklungshilfe. Sie werden auch nicht von demokratischen Ländern wie Deutschland unterstützt, nicht einmal materiell. Man sollte auch hier Druck auf die eigene Regierung ausüben, fragen, warum diese Organisation nicht anerkannt wird, und warum die Entwicklungshilfe-Millionen nur an die Kriegsparteien gehen.

Glauben Sie, dass Emanzipation, wie wir sie verstehen, vor dem Hintergrund einer völlig anderen Sozialisation, für die Mehrheit der afghanischen Frauen möglich ist?

Das kommt darauf an, was man unter Emanzipation versteht. Ich verstehe unter Emanzipation, dass man als Frau seine Menschenrechte ausüben darf. Die afghanischen Frauen sind dieser Rechte beraubt worden. Jede afghanische Frau ist in der Lage ihre Menschenrechte auszuüben. Das ist ihr nicht fremd. In diesem Sinne können sich die Frauen in Afghanistan emanzipieren und sie wären bereit und froh über die Möglichkeit dazu.

Haben Frauen im bewaffneten Widerstand gekämpft?

Ja, natürlich haben sie das getan. Vielleicht nicht viele bewaffnet, aber sie haben für alle Parteien gearbeitet. Sie haben die Mudschaheddin damals mit Lebensmitteln, mit Medikamenten versorgt, haben Informationen und Waffen geschmuggelt. Viele afghanische Frauen haben während der sowjetischen Besatzung freiwillig Schleier/Burka getragen, weil man darunter gut jede Art von Widerstandsmaterial, z.B. Gedrucktes, Kleidung, Waffen, das die Menschen seinerzeit in den Bergen brauchten, transportieren konnte. Die Frauen haben an der „zweiten Front“ den Kampf der Mudschaheddin begleitet. Leider haben sie für ihre Arbeit, für die Opfer, die sie dem Land gebracht haben, sehr viele sind auch ins Gefängnis gegangen, nichts bekommen. Jetzt haben sie den Fundamentalismus am Hals.

Glauben Sie, dass sich die Gesellschaft und besonders die Frauen mit der zur Zeit minimal vorhandenen medzinischen Hilfe von den wiederholten Traumatisierungen erholen können?

Nein, bestimmt nicht. Es wird Generationen dauern, denn traumatisierte Mütter können nicht gut Kinder erziehen, weil sie dazu einfach nicht in der Lage sind. Es wird viel Hilfe, vor allem professionelle Hilfe, benötigt werden, um diesen Frauen und ihren Kindern zu ermöglichen, diese Traumatisierungen zu überwinden.

Vielen Dank.



Meena

wurde 1957 in Kabul geboren. Während ihrer Schulzeit waren StudentInnen in Kabul und anderen Städten Afghanistans sehr intensiv in sozialen Aktivitäten und aufkom-menden Massenbewegungen engagiert. Sie verließ die Universität, um sich als Aktivistin der Organisation und Bildung der Frauen zu widmen. Um ihr Ziel, Meinungsfreiheit und das Recht auf politische Betätigung zu erreichen, war Meena 1977 maßgeblich an der Gründung von RAWA beteiligt. Diese Organisation sollte als Stimme für die benachteiligten und zum Schweigen gebrachten Frauen in Afghanistan wirken. 1979 engagierte RAWA sich gegen die russische Besatzung und ihr Marionettensystem. Meena organisierte zahlreiche Demonstrationen und Versammlungen in Schulen, Colleges und der Universität von Kabul, um die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Große Bedeutung für afghanische Frauen erlangte das zweisprachige Magazin „Payam-e-Zan“ (Frauennachrichten) im Jahre 1981, das Meena gründete. Durch dieses Magazin brachte RAWA die Ziele der afghanischen Frauen kraftvoll und effektiv zum Ausdruck. „Payam-e-Zan“ verdeutlichte kontinuierlich den kriminellen Charakter fundamentaler Gruppen. Außerdem gründete Meenas Organisation Watan-Schulen für Flüchtlingskinder, ein Krankenhaus und Handwerkszentren für Flüchtlingsfrauen in Pakistan, um die afghanischen Frauen finanziell zu unterstützen. Ende 1981 repräsentierte Meena auf Einladung der französischen Sozialisten die afghanische Widerstandsbewegung vor dem Kongress der Sozialistischen Partei Frankreichs. Die sowjetische Delegation des Kongresses verließ beschämt den Saal als Parteimitglieder Meena zujubelten. Außer Frankreich besuchte sie auch andere europäische Länder. Ihre aktive Arbeit und ihr Engagement gegen die Absichten der Fundamentalisten und des Marionettensystems provozierte gleichermaßen den Zorn der Russen wie auch den der fundamentalistischen Kräfte. Sie wurde am 4. Februar 1987 in Quetta/Pakistan von Agenten des KHAD, der afghanischen Gruppe des KGB, und deren fundamentalistischen Komplizen ermordet.

Was ist RAWA

Das afghanische Frauennetzwerk RAWA wurde 1977 in Kabul mit dem Ziel der Einbindung afghanischer Frauen in soziale und politische Aktivitäten eines zukünftigen demokratischen und säkularen Staat Afghanistan gegründet. RAWA kämpfte im Untergrund gegen die sowjetischen Truppen, gegen die Kriegsparteien der Mudschaheddin sowie gegen die Taliban und erhob zuletzt die Stimme gegen die Bombardements der USA/Großbritanniens. Oft unter Lebensgefahr dokumentierten die Frauen mit versteckten Kameras die Untaten des Talibanregimes, unterrichteten heimlich Mädchen in Privatwohnungen, richteten in Afghanistan und den Flüchtlingslagern in Pakistan Schulen für Jungen und Mädchen und ein Krankenhaus für Frauen in Quetta ein. RAWA bietet Kurse zur Krankenpflege an und schafft Arbeitsplätze für Witwen, die sonst betteln oder mit ihren Kindern verhungern müssten. Die Arbeit des Frauennetzwerkes wurde in den letzten Monaten in Deutschland von verschiedenen Seiten anerkannt: so erhielt die Organisation am 24.11.2001 den Jahrespreis der ZDF-Frauensendung „ML Mona Lisa“, Pressegespräche und Vorträge sollen die Zahl der RAWA-UnterstützerInnen steigen lassen und somit die Projekte sichern. Natürlich sind finanzielle Spenden die beste Unterstützung, aber für die zukünftige Arbeit leisten auch Sachspenden wie Schulmaterial aller Art, Büromaterialien, englische Drucksachen wie Bücher, Nachschlagewerke, Zeitschriften sowie Medikamente und medizinische Ausrüstung, usw. sehr große Hilfe.

Postadressen:

          • RAWA
            P.O.Box 374
            Quetta
            Pakistan

          • The Afghan Women's Mission
            P.O. Box 40846
            Pasadena, CA 91114-7846
            USA

Internetadressen:

RAWA Spendenkonto Deutschland




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