medien & zeit, 4/2006 (Jahrgang 21)

RAWA - und die Medien


Bettina Müller


Afghanische Frauen. Sie sind - noch immer - die Opfer der institutionalisierten, alltäglichen Gewalt. Sie machen (sich) ein Bild. Ohne Weichzeichner, sondern mit geschärften Kanten. Abgehackte Hände, verbrannte Gesichter und Hinrichtungen werden gezeigt – und gekauft. Von den Großen, wie z.B. der BBC. Und angesehen – von MedienkonsumentInnen auf der ganzen Welt.

Die Aufnahmen werden mit dem Risiko, die Gesundheit, das Leben - oft auch das Angehöriger – zu verlieren, gemacht. Was erwarten sich die Aktivistinnen der Revolutionary Women’s Organization of Afghanistan (RAWA) von der Veröffentlichung von solchem Bildmaterial? Eine Anfrage.


Afghanistan – ein heterogenes Land

In Afghanistan leben 57 verschiedene Volksgruppen mit sehr unterschiedlichen sozialen Systemen und Sprachen. Seit 1747 versuchten Könige, Eroberer und Warlords aus größeren Volksgruppen, meist Pashtunen, einen Zentralstaat aufzubauen – fast immer mit Gewalt, nie mit durchgreifendem Erfolg. Den ersten Reformversuch zu einem Rechtssystem nach westlichem Muster machte Amir Amanullah Khan (1919 – 1928), der mit seinen Reformen (u.a. Modernisierung des Islam, Entschleierung der Frauen, allgemeine Schulpflicht und Gleichberechtigung aller Volksgruppen) direkt in die sozio-kulturellen Bezüge der afghanischen Gesellschaft eingriff und sich damit Gegner schuf. Der Widerstand organisierte sich und führte zum Sturz des Königs – er gilt als Wurzel des islamistischen Widerstandes gegen spätere Reformbestrebungen.(1)

Führt RAWA zum demokratischen afghanischen Staat?

Die Könige aus der Musahiban Dynastie (1929-1978) versuchten in mehreren zögerlichen Demokratisierungsphasen, den Staat in einer Balance zwischen den Stämmen aufrecht zu erhalten. In die letzte von 1963 bis 1973 (unter Mohammed Zahir, 1933-1973) fiel das erste Wahlrecht für Frauen, die erste Wahl, bei der Frauen und Männer gleichberechtigt wählen durften und die Schulzeit von Meena Keshwar Kamal, der späteren Gründerin der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA). Sie wurde 1957 geboren und stammte aus einer (pashtunischen) Kabuler Mittelstands-Familie. Bereits zu Beginn ihres Jus-Studiums an der Universität Kabul wurde sie Zeugin der Misshandlungen von Studentinnen durch den islamistischen Shariah-Professor Bernahuddin Rabbani und Gulbaddin Hekmatyar, einen Gründer der fanatischen Hezb-e-Islami. 1977 gründete sie gemeinsam mit ihren Freundinnen RAWA. Im Folgejahr wurde der selbsternannte Premierminister Daoud gestürzt und durch das pro-sowjetische Regime ersetzt, 1979 marschierten die sowjetischen Truppen in Afghanistan ein, 1980 begannen die Mujaheddin mit westlicher Unterstützung ihren islamistischen Kampf gegen die Sowjets. In Kabul fanden StudentInnendemonstrationen statt, bei denen RAWA eine wichtige Rolle spielte. Meena gründete 1981 die RAWA-Zeitschrift Payam-e-Zan (Botschaft der Frauen). Sie beschreibt die Ziele von RAWA: Einrichtung einer Demokratie, Gleichberechtigung für Frauen und Männer, soziale Gerechtigkeit und Trennung von Religion und Staat.

RAWA wurde international bekannt, Meena trat auf Einladung von François Mitterand und der Sozialistischen Internationale 1981 in Paris im Fernsehen auf – danach konnte sie nur mehr im Untergrund leben. 1987 wurde sie in Folge eines Verrats im Auftrag von Hekmatyar in Pakistan ermordet. Sie gilt auch außerhalb Afghanistans als Heldin. (2)

RAWA aber hatte sich mittlerweile als Frauennetzwerk mit Schulen, Spitälern und Waisenhäusern, den Flüchtlingen folgend auch grenzüberschreitend, etabliert. Mit dem Rückzug der Sowjets (1989) und der Verschärfung des Bürgerkriegs (1978-2001, beendet durch ein US-Bombardement) kamen auf RAWA noch weitere Aufgaben zu. (3)

Im Winter 2001, nachdem die USA mit dem Bombardement die Nordallianz gestärkt und damit eine militärische Kräfteverschiebung eingeleitet hatten, schlossen die kriegführenden Parteien in Bonn ein Friedensabkommen. In einem Zusammentreffen der Loya Jirga (in der alle Warlords vertreten waren) wurde eine Interimregierung unter Hamid Karzai aufgestellt, der 2004 auch durch landesweite Wahlen bestätigt wurde. Im Herbst 2005 wurde u.a. auf Betreiben der USA und unter Aufsicht der UNO ein Parlament gewählt, für das eine Frauenquote von 28% (UNO-Vorgabe: 25%) erreicht wurde.

In der Regierung sind auch die wichtigen Anführer der ehemals kriegführenden Parteien vertreten. Ihre Macht basiert auf zu großen Teilen auf dem Drogenhandel. Afghanistan produziert 92% des weltweit vermarkteten Opiums.

Human Rights Watch befürchtet die Wiedereinrichtung des „Amro bil mahroof“, des unter den Taliban eingerichteten Sittenministeriums. Nach Aussage der Vereinten Nationen war dieses „das frauenfeindlichste Ministerium der Welt“. Auf Wunsch des Religionsministeriums wurde seine Wiedereinführung diesem Sommer von Karzais Regierung beantragt. Der Beschluss durch das Parlament steht noch aus. (4)

Politischer Aktivismus

Wer sind die Politikerinnen in Afghanistan? Die Marionetten der Islamisten im Parlament? Wenn man den familiären Hintergrund vieler Parlamentarierinnen durchleuchtet findet man oft sehr direkte Kontakte zu den alten Clans, die ihre Interessen über sie weiter verfolgen können. (5)

Für RAWA (in Dari: Jamiat-e Inqalabi Zanan-e Afghanistan) ist Aktivismus ein wesentlicher Teil ihrer politischen Arbeit. Die Revolution (Inkalab) in ihrem Namen zielt darauf ab, dass der Eingriff der Organisation in das Leben afghanischer Frauen revolutionär sein muss. Die Werte von RAWA sind im mitteleuropäischen Kontext klassisch demokratisch-humanistische Werte – in Afghanistan sind sie revolutionär. Die Revolution wird auch mit vielen kleinen Taten im Alltag vollzogen. Ein Beispiel ist die Ausbildung von Hebammen, die das Leben der Mütter bei der Geburt retten können. Ein anderes Beispiel ist die Erziehung der Söhne zu Männern, die durch täglichen Umgang mit Frauen von Kindesbeinen an den Respekt vor ihnen lernen.

Zum Frauentag 2006 zeigten RAWA-Mitglieder direkt in Kabul in einer Versammlungshalle vor 300 TeilnehmerInnen ein Kabarett-Stück, das den Alltag der Parlamentarierinnen beschreibt. Unter anderem wird geschildert, dass einige von ihnen keinerlei Ausbildung haben und keine aktive politische Funktion ausüben. Natürlich kann man das nicht generalisieren, einige fallen sehr wohl aus der Reihe, wie Malalai Joya und Gulhar Jalal. Beiden wird eine Nähe zu RAWA nachgesagt. Öffentlich bestätigen können sie das nicht. Malalai Joya erhält Morddrohungen und bewegt sich auf der Straße aus Sicherheitsgründen nur mehr unter der Burqa, humanitäre Organisationen sammeln Geld, um ihre Leibwächter zu bezahlen.

RAWA – der Medienauftritt

Gleich auf der Eingangsseite der RAWA-Homepage www.rawa.org steht:

“RAWA is the oldest political/social organization of Afghan women struggling for peace, freedom, democracy and women's rights in fundamentalism-blighted Afghanistan since 1977”. (6)

RAWA wurde in Afghanistan nie offiziell anerkannt. Bedingt durch ihren politischen Aktivismus erhält die Organisation weder von der UNO noch von anderen Regierungen irgend eine Art von Unterstützung. Sie vertritt eine säkulare, antifundamentalistische, demokratische und gleichberechtigende Politik, mit besonderer Beachtung der Menschenrechte für Frauen. Ihre Arbeit schließt politische Aktivität, Ausbildung von Frauen (und Männern), Buben und Mädchen, Wirtschaftsprojekte (zur Förderung der ökonomischen Selbständigkeit der Frauen) und humanitäre bzw. medizinische Hilfe mit ein.

Zu den Hauptaufgaben ihrer politischen Tätigkeit zählt eine starke Medienpräsenz. Über die zweisprachige (Persisch/Urdu) Zeitschrift, Payam-e-Zan soll den afghanischen Frauen eine Stimme gegeben werden, die ihre Rechte und Potenziale in der Öffentlichkeit vertritt und erkämpft. Seit 1996 erscheint sie auch in Englisch, damit tritt RAWA über die regionalen Grenzen hinaus und erreicht eine breite Weltöffentlichkeit. Die Zeitschrift ist in Afghanistan verboten. Jetzt wird sie in Pakistan gedruckt, wo die Mediengesetze etwas liberaler sind.

1996, in einer Zeit, als die Taliban Afghanistan in die Steinzeit zurück führen wollten, setzte RAWA auch einen entscheidenden medientechnologischen Schritt – die Eröffnung der Homepage www.rawa.org. Damit wurde inmitten der Krisenzeit eine Weltöffentlichkeit von 20.000 BesucherInnen (allein im Jahr 1996) erreicht. Tausende E-Mails beschäftigten RAWA-Mitglieder rund um die Uhr mit Anfragen zur Situation afghanischer Frauen. Es entstanden Kontakte zur moralischen, wirtschaftlichen und politischen Unterstützung.

Drei Jahre später wurde die Seite bereits von 300.000 BesucherInnen angesehen. Der Bekanntheitsgrad der Organisation drückte sich auch in einem Beitrag der US-Amerikanische TV-Showmasterin Ophrah Winfrey aus. Sie sprach in ihrer Sendung über den Widerstand der afghanischen RAWA-Frauen.

Eine Hinrichtung

Im Frühling 2001 schmuggelte sich eine Frau mit einer Videokamera in das Fußballstadion von Kabul, um die öffentliche „Hinrichtung“ von Zarmina vor 30.000 ZuseherInnen durch die Taliban zu filmen. Zarmina, deren Nachnamen für die Täter und auch die meisten Medien ohne Bedeutung war, war angeklagt, ihren gewalttätigen Ehemann getötet zu haben.

Die Kamerafrau hatte das Gerät unter ihrer Burqa versteckt und filmte den Mord durch ein Loch. Der Film zeigt weder Zarminas Gesicht noch ihren Körper, sondern eine hellblaue Burqa, auf die ein Taliban ein Gewehr richtet. Nach dem Schuss verfärbt sich die Burqa dunkel und beim Fallen werden Zarminas Beine sichtbar. Niemand soll Zarminas Gesicht sehen, niemand darf das Gesicht der Kamerafrau sehen.

Eine Polizistin, ebenfalls unter der Burqa, deckt die Beine zu, ein Auto fährt vor und viele Männer versammeln sich um die Tote.

Der Film über die Hinrichtung wurde in den Westen geschmuggelt. Er ist der einzige Film über eine öffentliche Frauenhinrichtung, der in Afghanistan gedreht werden konnte. BBC/CNN strahlte ihn als Teil der Dokumentation „Behind the Veil“ am 26. Juni 2001 erstmalig aus. (7)

In Europa „stören Burqas die öffentliche Sicherheit“. In Holland sollen sie auf Antrag der Einwanderungsministerin Rita Verdonk von der Regierung verboten werden. (8) Für Frau Verdonk ist es für die Sicherheit der Frauen entscheidend, dass sie ihr Gesicht zeigen können. Sie bezieht mit der Entscheidung bewusst Position gegen die fanatischen Strömungen in Holland.

Von den Taliban wird die Frau in den Schleier der Anonymität gehüllt. Nicht allein Zarmina, jede andere hätte unter der Burqa verborgen sein können. Durch die Verhüllung wird die Individualität Zarminas durch „die Frau“ ersetzt. Man braucht sich nicht mit ihr als Person auseinander zu setzen.

Menschen, deren Identität verborgen bleiben soll, vermummen sich. Sichtbarmachen ist Konfrontation. Wenn die AkteurInnen aus der Anonymität heraustreten bzw. herausgeholt werden, muss sich der Zuseher mit dem – der! - Gesehenen auseinander setzen. Im Parlament spricht die feministische Parlamentarierin Malalai Joya einen Verbrecher vor der Kamera auf seine Taten an. Das ist ein Moment der Enthüllung. Sie entschleiert ihn.

RAWA entschleiert die Täter durch Aufzeigen ihrer Taten in den Medien. Durch Nennen ihrer Namen, ihrer Aufenthaltsorte und Positionen.

Verhüllt durch eine erkaufte neue Identitäten können sich Mörder frei bewegen und anerkannte Posten inne haben. Ein Beispiel: Meine Interviewpartnerin, Frau Amena Shams (ein fiktiver Name) war zu einem Vortrag an die Otago University in Neuseeland eingeladen und entdeckte dort den ehemaligen Außenminister und „killer“ (8), Dr Najibullah Lafraie, Mitglied der islamistisch-fundamentalistischen „Jamiat-e-Islami" in einer gut dotierten Professorenstelle. Er bezeichnete sich öffentlich als Unterstützer von RAWA.

Frau Shams hatte knapp nach dem Zusammentreffen Gelegenheit zu einem Auftritt in einer Live-Sendung in Australien. Vorweg holte man von ihr das Versprechen ein, nicht über Lafraie zu reden, damit die Redaktion keinen Ärger bekomme. Frau Shams sagte zu. Die Sendung begann mit einer Frage über die Wasserqualität in Neuseeland. Shams antwortete mit Lafraie – was zählt ein unter solchen Bedingungen gegebenes Versprechen wenn sich hier eine Chance für Aufklärung bot?

Shams möchte den Fall vor den internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen (9). Die Medien-Coverage war spärlich. Zu dieser Zeit - Herbst 2005 – waren andere Themen vorrangig (s.u.). Der Anwalt Lafraies probierte, australische Medien zur Herausnahme von Berichten über den Fall aus ihren Nachrichten zu zwingen. (10) Lafraie unterrichtet nach wie vor Politikwissenschaft in Otago.

Gewaltdarstellungen

Der Film über die Hinrichtung Zarminas wurde noch vor 9/11 gedreht. Seine Präsentation bei BBC/CNN machte RAWA weltbekannt.

Mit minimalen Mitteln drehen RAWA-Mitglieder Filme und machen Fotos, die die großen Medienunternehmen allein nicht produzieren könnten: Eine Frau filmt Kampfhandlungen – die Kamera unter der Burqa versteckt – mit sicherer Hand geführt folgt die Kamera den schnellen Bewegungen der Kämpfenden. Plötzlich zuckt sie, fängt an zu zittern, immer noch auf die Kämpfenden gerichtet, dann wirbeln Ruinen und Menschen durcheinander. Die Filmerin wurde von einer Kugel getroffen, niemand sucht die Kamera unter ihrer Burqa, sie bleibt liegen, bis RAWA-Mitglieder sie finden und die Kamera in Sicherheit bringen. (11)

Dieser Film ist weniger bekannt, denn die Grausamkeit wird unter der Burqa, hinter der Kamera nicht sichtbar. Der Täter befindet sich nicht vor dem Objektiv.

RAWA entschleiert die Täter auch durch Sichtbarmachen ihrer Taten. Auf ihrer Homepage präsentieret RAWA eine umfassende Galerie von Bildern, die einen Bezug zwischen den Taten und ihren Tätern herstellen sollen. Über die Tat soll zum Täter hingeführt werden, das Bild der Tat klagt den Täter vor der Öffentlichkeit der schweren Menschenrechtsverletzung an.

Zuerst findet sich der Hinweis, dass es sich bei dem Gezeigten um die Menschenrechtstragödie in Afghanistan handelt, dann eine Warnung, dass die folgenden Szenen nicht für emotional nicht belastbare Personen geeignet sind. Und dann eine Entschuldigung für die extreme Brutalität der Bilder: Das sei die Realität im Leben der afghanischen Bevölkerung.

Unter der Warnung für Zartbesaitete findet sich noch ein anderer interessanter Hinweis:

Es handelt sich um die Copyrights für die RAWA-Bilder. Sie liegen bei World Picture News: http://www.worldpicturenews.com.

Diese amerikanische Firma verwaltet auch Bilder der UNO und Familienbilder von Saddam Hussein. Die Copyrights und Erträge aus dem Verkauf liegen bei den FotografInnen der Bilder. RAWA Mitglieder arbeiten selbst nicht in der Öffentlichkeit. Längst hat auch der Verwaltungsaufwand für ein solches Volumen an Bilddokumenten die Kapazitäten von RAWA überschritten.

Berichterstattung seit 9/11

Der 11. September 2001 brachte enorme Publizität für RAWA. In der im Jänner 2002 herausgebrachten Publikation „RAWA and the World Media“ sind alle seit 1996 (der Gründung der Webseite) in der Weltpresse erschienenen Artikel über RAWA angeführt, über die RAWA informiert wurde. Bis zur Zerstörung des World Trade Center wurden 95 Publikationen gesammelt, in den knapp drei Monaten von 11. September bis Jahresende 2001 sogar um zwei mehr.

Doch 9/11 liegt weit zurück – obwohl die Entschuldigung auf der Bildseite immer noch die gleiche Aussage hat verschwindet Afghanistan aus den Schlagzeilen. Es hat sich nichts geändert,

- immer noch werden Frauen in Afghanistan zu Tode gesteinigt
- immer noch werden sie von den Warlords entführt und mehrfach vergewaltigt
- immer noch werden sie von ihren Ehemännern verbrannt (RAWA beschreibt einen Fall von einem siebenjährigen Mädchen!)
- immer noch werden sie von ihrer eigenen Familie an Fremde verkauft.

Die Weltmedien berichten mit Rückhalt der UNO–Organisationen und der großen NGOs, dass es in Afghanistan eine „gewählte Regierung“ gibt, dass das Land eine Verfassung hat, und dass es Gesetze gibt. Doch diese Gesetze basieren auf der Sharia und sind damit nicht gleichberechtigend für Frauen und Männer. Und die Exekution dieser Gesetze hängt von den Machtverhältnissen ab. Immer noch ist RAWA weder in Afghanistan noch in Pakistan als NGO anerkannt. Die KritikerInnen (auch die männlichen RAWA-Mitglieder, die im feministischen Kampf RAWAs eine entscheidende Rolle spielen!) werden in den Untergrund verbannt - unter den Schleier gezwungen – und daran gehindert, die Täter öffentlich zu identifizieren.

Ein afghanischer Parlamentsjournalist, der eine Attacke auf Malalai Joya während einer Sitzung mitfilmte, wurde selbst angegriffen und mit dem Tod bedroht. Er musste sich für einige Zeit verstecken. Allein im letzten Jahr gab es nach Angabe der Afghan Independent Journalists’ Association vierzig Übergriffe auf die Pressefreiheit in Afghanistan, darunter zwei Morde und mehrere Fälle von Entführung, Misshandlung und Gefangenschaft ohne Verfahren. Vor kurzem äußerte sich die afghanische Journalistengewerkschaft über die rigorose Zensur durch die Regierung.

Im Jahr 2005 – dem „Desaster–Jahr“ - geriet RAWA in ernste finanzielle Schwierigkeiten, weil die Berichterstattung und auch alle Spendenaufrufe sich auf den Tsunami, den Irak-Krieg und das Erdbeben in Pakistan konzentrierten. Weil die Spenden ausblieben, musste ein Spital geschlossen werden.

Shams kritisiert das Vorgehen der internationalen Medien, die sich nach Ansicht RAWAs an den USA und deren Regierungspropaganda orientieren. Die Berichterstattung sei oft nicht korrekt, und neben „heißeren Themen“ würden die Grausamkeiten in Afghanistan ignoriert. Man breitet die Schleier des Vergessens über dieses „Thema“.

Die RAWA Medien zeigen nicht nur Aufdeckung von Verbrechern. Sie zeigen auch Alltag: Ein Netzwerk von über 2.000 Mitgliedern fordert über Demonstrationen und Flugblätter Gerechtigkeit ein, betreibt Schulen und Waisenhäuser (Alphabetisierung, Koedukation von Buben und Mädchen, Computer- und Englischkurse), Krankenhäuser und Krankendienste, Schwestern- und Hebammenausbildung (die Frauensterblichkeit bei der Geburt liegt in Afghanistan bei 19 von 1.000 – WHO, Daten aus dem Jahr 2000), Nothilfeaktionen, Unterstützung bei Unternehmensgründungen und Wiederaufbauprogramme. Alle können langfristig und in kleinen Schritten den Frauen in Afghanistan ein besseres Leben ermöglichen. (12)



Bettina Müller

Ist ausgebildete Biologin. Nach dem Studium verbrachte sie zwei Jahre zu Studienzwecken (Stadtökologie) in der VR China. Nach der Rückkehr wechselte sie zum Journalismus und arbeitet seit mehreren Jahren freiberuflich bei einem UNO Programm zur nachhaltigen Stadtentwicklung mit. Erste Kontakte zu RAWA knüpfte sie im August 2005, im April 2006 lernte sie Mitglieder, Institutionen und Arbeitsbedingungen der Organisation bei einem Besuch in Pakistan persönlich kennen.








Source: http://www.medienundzeit.at




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