BerlinOnline, 03. Dezember 2001


www.rawa.org

Die revolutionäre afghanische Frauenorganisation "Rawa" schreibt Mediengeschichte


Michaela Schlagenwerth


Fünfundsechzig Prozent der afghanischen Bevölkerung sind Frauen, an den Bonner Verhandlungstisch erhielten gerade mal drei von ihnen Zutritt. Aber dass es dazu überhaupt gekommen ist, dass die Frauenrechte ganz oben auf der Agenda stehen und internationale Geldgeber jetzt ihre Unterstützung von der Achtung der Frauenrechte abhängig machen wollen, dass Laura Bush erstmals seit ihrer Zeit als Präsidentengattin öffentlich vor ein Mikrofon trat, um den Kampf für die Rechte der afghanischen Frauen als unabdingbaren Teil des Kampfes gegen den Terror zu erklären - das ist zu einem nicht geringen Teil den afghanischen Frauenorganisationen selbst zu verdanken, am meisten wohl der Organisation Rawa, der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan.

Rawa ist nur eine von mehreren afghanischen Frauengruppen, die während des Taliban-Regimes Widerstand geleistet und unter Einsatz des Lebens geheime Mädchenschulen errichtet und Frauen medizinisch versorgt haben. Auf Grund ihrer politischen Linksausrichtung ist Rawa unter den anderen Frauengruppierungen nicht einmal besonders beliebt, aber wie keine andere Organisation hat Rawa mit einer in der jüngeren Mediengeschichte beispiellosen Vorgehensweise und ebenso großem Mut ein öffentliches Bewusstsein über die unglaubliche Brutalität und den Terror des Taliban-Regimes geschaffen. Hinter der Organisation Rawa verbergen sich die Frauen, die unter ihrer Burka heimlich die öffentlichen Hinrichtungen, Verstümmelungen und andere von den Taliban angerichteten, unmenschlichen Quälereien gefilmt haben. Vor allem die von Rawa-Frauen dokumentierte öffentliche Erschießung einer wegen Ehebruchs angeklagten Frau in einem Kabuler Sportstadion ist um die Welt gegangen.

Dabei haben nicht nur die von Rawa aufgenommenen Bilder erschüttert, sondern diese haben immer eine doppelte Botschaft enthalten: Sie haben die Grausamkeit der Taliban dokumentiert und sie haben der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass Frauen aus dem Gefängnis ihres sie vom Kopf bis zu den Zehen einhüllenden Kleidungskäfigs zurückschlagen, dass sie die Restriktion der Burka in eine Waffe gegen die Taliban umfunktionieren. Dass die Medien für Frauen das geeignete Forum sind, um Einfluss auf die Politik zu nehmen - weil sie zugänglicher als die klassischen Medien der Öffentlichkeit sind - haben feministische arabische Gruppen schon Anfang der 90er-Jahre propagiert. Doch so wie Rawa hat bislang keine andere arabische Frauen- und wohl auch sonst keine politische Organisation diese Möglichkeit je genutzt. 1997 hat Rawa eine eigene Website im Internet errichtet (http://www.rawa.org/), die ihr Tor zur Welt werden sollte. 1999, nachdem Winfrey Oprah in ihrer Show die amerikanischen Zuschauer aufrief, Geld und Kameras für Rawa zu spenden, klickten binnen kürzester Zeit 300 000 Menschen die Adresse an. Die Rawa-Frauen, die von dem Aufruf nichts wussten, waren fassungslos. In den USA avancierte eine schon vor dem 11. September zu einer kleinen Fundraising-Tour eingereiste junge Rawa-Aktivistin regelrecht zum Medienstar. Sie war bei Larry King zu Gast und ihre Vorträge in verschiedenen Städten nahmen die amerikanischen Zeitungen zum Anlass, sich kritisch mit der eigenen früheren Afghanistan-Politik auseinander zu setzen, vor der Nordallianz zu warnen (deren Gräueltaten Rawa ebenfalls dokumentiert hat) und die Notwendigkeit, aber auch die großen Schwierigkeiten zu diskutieren, unter denen Frauen in Afghanistan wieder mehr Rechte erlangen können.

Rawa gibt es seit vierundzwanzig Jahren, 1977 von Kabuler Linksintellektuellen gegründet, ist die Organisation bereits seit sowjetischen Besatzungszeiten vor allem in den pakistanischen Grenzstädten Peshawar und Queena für die afghanischen Flüchtlinge aktiv. Dort unterhält sie Schulen für Mädchen und Jungen, Waisenhäuser und ein kleines Krankenhaus, sie bietet Alphabetisierungskurse für Frauen an und versucht mit einer Teppichweberei, Imkerei und anderen Werkstätten den geflohenen Frauen zu einer eigenen ökonomischen Grundlage zu verhelfen.

Rawa-Aktivistinnen haben aber auch im Afghanistan der Taliban gelebt und dort heimlich Mädchenschulen und Teppichwebereien gegründet, und sie wurden von Pakistan aus entsandt, um Schulbücher, Medizin, Kameras und das eigene Magazin "Botschaft der Frau" unter der Burka zu schmuggeln, das in Afghanistan zum Teil auswendig gelernt und mündlich weitergegeben wurde. Auch in Pakistan arbeiten die Rawa-Frauen, auch dort von islamischen Fundamentalisten bedroht, zum großen Teil im Untergrund. Eine feste Postanschrift gibt es nicht, ebenso wenig wie Fotografien der zirka 2 000 Mitglieder, deren Namen alle Pseudonyme sind.

Mittlerweile hat Rawa Mediengeschichte geschrieben. Während Krieg in der Regel für die Frauen die Rolle des Opfers vorsieht, haben die Rawa-Aktivistinnen durch ihre zum Teil todesmutige und äußerst effiziente Nutzung der Medien mit zivilen Mitteln gegen die Taliban gekämpft, sie haben den entrechteten afghanischen Frauen eine Stimme gegeben und sie haben der Weltöffentlichkeit noch während der Herrschaft der Taliban deutlich gemacht, dass die Frauen eine politische Kraft sind in Afghanistan. Obwohl bis zum letzten Tag vor Konferenzbeginn darüber verhandelt wurde, hat am Ende keine der Rawa-Frauen mit am Delegiertentisch gesessen. Dort waren wohl politisch gemäßigtere Vertreterinnen gefragt. Bevor 1992 die Nordallianz die Macht übernahm, waren 70% der Lehrer und 40% der Ärzte in Afghanistan Frauen. Gleichzeitig waren in Afghanistan nie mehr als 10% der Frauen alphabetisiert. 1996, vor dem Beginn des Taliban-Regimes, waren noch 3 500 Frauen an der Universität in Kabul eingeschrieben. Jetzt hat die Universität der afghanischen Hauptstadt erstmals seit fünf Jahren wieder ihre Pforten für Frauen geöffnet. Dutzende von Frauen in traditionellen Burkas standen Ende letzter Woche an, um sich für die im Januar beginnenden Seminare einzuschreiben.





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